Melinda ist 26 Jahre alt, als sie von ihrem Ex freund, der sie über drei Jahre geschlagen hat, einen letzten Schlag auf den Kopf bekommt, der ihr gesamtes Leben und auch sie selbst verändert.
Sie wacht ohne Gedächtnis, aber dafür mit Querschnittslähmung im Krankenhaus auf. Heute, ca. vier Jahre später, geht es Melinda den Umständen entsprechend gut. Sie fährt sogar Auto, trotz ihrer Lähmung und ist auch sonst sehr selbständig. Ich möchte von ihr wissen wie es ist, sich einfach nicht mehr an das Leben, dass man mal gelebt hat, erinnern zu können und wie sie und ihre Familie, zu der auch ihre Kinder gehören, damit umgegangen sind.
„Du machst den Eindruck eine taffe Frau zu sein, wie kommt es, dass du dich drei Jahre lang von einem Mann hast schlagen lassen?“
„Ich kann es leider nicht genau sagen. Ich erläutere es auch gerne so: Durch das SHT (Schädel-Hirn-Trauma) ist mein Gehirn beschädigt und an alles was vor dem Vorfall war, also auch die häusliche Gewalt, habe ich keinerlei Erinnerungen mehr.“
„Was ist das Erste woran du dich erinnern kannst und wie hast du von dem Angriff erfahren?“
„Das Erste woran ich mich erinnere ist, wie ich wach wurde und ich nicht wusste wo ich bin. Ich lag im Krankenhaus und die Polizei kam, um mir Fragen zu stellen. Ich erinnerte mich an nichts! Als ich aufwachte war alles sehr weiß und steril, ist ja eigentlich klar im Krankenhaus. Ich fragte die Schwestern und Ärzte was passiert sei, aber konnte mit allen Infos, die man mir gab, nichts anfangen.
Der Schock selber war allerdings für mich, als fünf Tage danach ganz viele Kinder kamen. Ich machte mich noch mit einer Bettnachbarin lustig drüber, wer sich so viele Kinder anschaffe. Und dann standen sie vor mir, drei Jungen und drei Mädchen – ein Mädchen selbst im Rollstuhl. Die Kleinste kam zu mir aufs Bett gesprungen, umarmte mich und weinte. Was sollte ich tun? Ich streichelte sie einfach. Ich sah sie zum ersten Mal in meinem Leben und lernte sie, unter anderem mit Hilfe vom Jugendamt, kennen. Nach und nach, jede Woche mehr. Ich meine, ich wusste nicht mal meinen Namen. Und es kommt heute noch vor, dass ich vieles vergesse, wenn meine Kinder mir nicht sagen wann sie zum Beispiel Geburtstag haben.
Meine damalige Freundin, die auf meine Kinder aufgepasst hat, während ich vier Monate lang im Krankenhaus lag, erklärte mir alles. Sie hat auch an dem Tag des Vorfalls meinen Sohn empfangen, der schreiend zu ihr runter lief. Leider ist sie mir auch heute noch sehr fremd. Die Freundschaft kam nicht mehr zurück.“
„Was genau hat zu deinem Gedächtnisverlust und somit auch zu dem Verlust deiner gesamten Erinnerungen, geführt?“, frage ich und muss zugeben, dass die Vorstellung, aufzuwachen und nicht mehr zu wissen wer man ist, was einen geprägt hat und wen man kennt, mir die Kehle zuschnürt.
„Laut dem Bericht von der Polizei und meinem Sohn, der alles miterlebt hat, hat mein damaliger Freund geklingelt, während ich in der Küche stand und das Frühstück zubereitete. Mein Sohn machte die Tür auf, da er dachte, dass meine damalige Freundin vor der Tür stände, mit der ich zum Essen verabredet war. Aber sie war es nicht sondern *Johannes.
Mein Sohn sah wie er mir auf den Kopf schlug und ich zu Boden ging. Laut den Aussagen der Polizei und der meines Sohnes, hat er dann auf mich eingetreten und ich landete mit Gedächtnisverlust und einer Querschnittslähmung im Krankenhaus, wo ich einige Zeit im Koma lag.“
„Wurde dein Exfreund für das was er dir angetan hat verurteilt?“
„Ja, man verurteilte ihn zu acht Jahre und vier Monaten Haft. Heute bin ich 30, er sitzt also noch Vier Jahre und zwei Monate.“
„War das Strafmaß für dich akzeptabel, wenn man berücksichtigt, dass du dein Leben lang in einem Rollstuhl sitzen wirst und dein Leben einfach komplett vergessen hast?“
„Klar hätte es mehr sein können! Aber es würde nichts ändern. Auch eine höhere Strafe hat er irgendwann abgesessen, während ich mein ganzes Leben sitze.“
„Wie fühlt es sich an, seine Kinder und alle anderen Menschen, die einem im Leben begleitet haben, neu kennenzulernen? Ist man manchmal misstrauisch?“
„Also zu den wundervollen Kindern muss ich sagen, dass es am Anfang sehr schwer war, da sie für mich wie Fremde waren. Mittlerweile kommen wir echt gut zurecht und ich muss sagen, auch wenn ich Zweifel hatte, ob ich es schaffen würde die Kinder zu lieben, muss ich gestehen, ich bin glücklich und stolz zugleich, so tolle Kinder zu haben und auch sehr stolz ihre Mutter zu sein.
Von meinen alten Freunden, die es schon vor dem Vorfall gab, sind drei Stück geblieben. Und ja, misstrauisch bin ich sehr oft und hinterfrage dann auch immer alles.“
„Sagen dir Menschen, die dich schon vor deinem Gedächtnisverlust kannten, dass du anders bist als früher? Quasi ein anderer Mensch?“
„Ja, das wird sehr oft von meinen größeren Kindern und von den drei Freunden gesagt,mit denen ich noch Kontakt habe.
Früher war ich wohl anders im Umgang mit den Kindern. Ich habe alles durchgehen lassen. Allgemein hab ich wohl immer zu allem ja gesagt.
Heute bin ich so, wie ich es von den Familienhelfern damals gelernt habe . Wie zum Beispiel Regel einzuhalten. Ich bin außerdem sehr viel zuverlässiger mit Terminen. Und der Umgang mit den Kindern ist leichter geworden, auch wenn ich laut ihren Aussage sehr streng bin.“
„Wie war es für dich wieder Zuhause mit deinen Kindern zu leben?“
„Als ich nach Hause kam fühlte ich mich ganz komisch, da alles so merkwürdig eingerichtet war. Ich fühlte mich gar nicht wohl sondern fremd, sehr fremd. Ich hatte Angst, aber war zum Glück die erste Zeit nicht alleine. Hätte mir jemand vorher gesagt, dass man die Pampers mit den Klettstreifen nach vorne schließt, hätte ich es von Anfang an richtig gemacht, aber wie ich nun gern sage: Sie halten auch ganz gut hinten.
Dadurch das ich keine Erinnerungen an damals habe, ging es mir psychisch eigentlich ganz gut. Trotzdem war natürlich alles fremd und es gab jeden Tag neues zu entdecken. Ich lernte mit der Zeit die Eigenschaften der Kinder und wie es damals so in unserer Familie gewesen ist.“
„Wie ging es dir mit der Erkenntnis, nie mehr laufen zu können? Und konntest du dich daran erinnern wie es war zu laufen, oder gab es da nichts was du vermissen konntest?“
„Nein. Ich sah Videos und Fotos von mir, aber es ist wie eine fremde Frau, die ich da sehe und die eben laufen kann.“
„Hast du psychologische Hilfe gebraucht um deinen Verlust zu verarbeiten?“
„Nein, da das Leben im Rollstuhl für mich normal war. Ich konnte mich ja nicht erinnern wie es vorher war.“
„Wann trat dein jetziger Ehemann in dein Leben?“
„Er hatte sich per Internet im Oktober ’15 bei mir gemeldet, da ich als Hobby die Tattookunst erlernt habe. Er schrieb mir, dass er gern auch eins von mir gestochen haben möchte.
Eine gemeinsame Freundin hatte ihm von meinem Hobby erzählt.
Aus den Vorgesprächen wurde mehr Schreiben und Treffen. Ich wusste nicht was verliebt sein ist, oder wie sich Schmetterlinge im Bauch, wie man immer sagt, anfühlten. Auch wenn ich laut Erzählungen schon solche Gefühle erlebt hatte, konnte ich mich ja eben nicht mehr daran erinnern. Irgendwann trafen wir uns eigentlich jeden Tag und unterhielten uns bis in die Nacht. Am 20. November´15 sind wir dann zusammen gekommen.“
„War es für ihn je ein Problem, dass du im Rollstuhl sitzt, oder wurde das nie thematisiert?“
„Er sagt, dass es nie ein Problem für ihn war, da er nie einen Unterschied daraus gemacht hat. Er hat nur den Menschen gesehen und schon im Dezember 2016 machte er mir einen Heiratsantrag, da ich Nachwuchs von ihm erwartete . Wir heirateten am 30.3.17.“
„Wie hast du die Kraft und den Mut geschöpft, dein Leben wieder in die Hand zu nehmen?“
„Mir blieb ja nichts anderes übrig und ich wollte den Kindern eine gute Mutter sein, da sie ja sonst auch niemanden hatten. Und ich bereue meinen Schritt bis heute nicht.
Die Kinder hatten am Anfang, dadurch dass ich die Geburtsurkunden aller in der Hand hatte, Kontakt zu den Vätern. Mittlerweile besteht gar kein Kontakt mehr . Ich stehe auch seit 1 1/2 Jahren mit dem Vater der letzten zwei Kindern vor Gericht, da ich das alleinige Sorgerecht beantragt habe. Für die ersten fünf Kinder hatte ich es von Anfang an.“
„Was wurde dir über die Beziehung mit dem Mann, der dir das angetan hat, erzählt?“
„Das er den Kindern weh tat, körperlich wie auch seelisch. Laut Aussagen von anderen, hatte ich Angst, sehr große Angst um mich und die Kinder. Als ich den Sprung schaffte und mich endlich von ihm trennte, machte er mich zum Krüppel, auf gut Deutsch gesagt. Man erzählte mir, dass er die Trennung nicht akzeptieren wollte.
Aber ich blicke nicht zurück und denke auch nicht über all die „was wäre wenn´s nach“. Ich lebe nun damit und ich bin glücklich, auch wenn wir, mein Mann und ich, viele Trauerschläge erlitten haben. Den tot unserer Tochter 2016 mussten wir erst mal verkraften, als ihr Herz im Mutterleib einfach nicht mehr schlug. Einige Zeit später wurde außerdem mein treuer Freund, mein Bernersennenhund Carlo, eingeschläfert.“
„Habt ihr denn trotzdem vor noch ein gemeinsames Kind zu bekommen?“
„Ja, das haben wir. Aber erst später, da wir mitten im Umbau des Hauses stecken. Nach und nach wir dort alles so umgebaut, dass mein Leben, auch mit dem Rollstuhl, nicht zu kompliziert zu gestalten ist.“
„Wie würdest du dein derzeitiges Leben beschrieben?“
„Aufregend, harmonisch und ausgeflippt.“
„Was sind deine Ziele für die Zukunft?“
„Ich möchte mit den Kindern gerne in den Urlaub, meinen Mann auch noch kirchlich heiraten und mein Leben so schön leben, wie es ist mit den Kindern und meinem Mann möglich ist. Mein Mann ist jetzt 42 Jahre alt und Industrie-Metall Meister. Nach der Arbeit hilft er wo er kann, trotz Baumaßnahmen hier. Also auch die Kinder kommen nicht zu kurz und er nimmt sich sehr viel Zeit für alle. So soll es bleiben.“
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