Viele haben das Gefühl, Menschen mit einer Behinderung bemitleiden zu müssen. Als Mensch mit voller Sehkraft, tun uns die Blinden oder Sehbehinderten leid, weil wir denken, sie würden all das was wir Schönes sehen verpassen. Als Jogger denken wir schwermütig über den Rollstuhlfahrer nach, den wir nachmittags im Park gesehen haben.
Viele gehen automatisch davon aus, dass ein Mensch mit einer Behinderun das Leben nicht genauso genießen kann, wie ein gesunder Mensch. Selbst wenn wir wissen, dass eine Behinderung von Geburt an vorliegt, gehen wir oft davon aus, dass sie demjenigen, der sie mit sich trägt, immer im Wege steht. In Wirklichkeit sieht es häufig anders aus. Die meisten Menschen mit Behinderung, egal welcher Art, sind an ihre Einschränkung gewöhnt und haben gelernt, damit umzugehen.
Einen Diabetiker bemitleiden wir ja auch nicht. Und das nur weil wir nicht sehen können, welche Einschränkungen sein Leben mit sich bringt. Hilfe, die im falschen Moment angeboten wird und somit eher bevormundend wirkt, ist somit nichts, womit man sein Mitgefühl ausdrückt, sondern eher, dass man Menschen mit einer Behinderung eben nicht versteht und auch nicht als gleichwertig ansieht. Wie integriert und gleichberechtigt fühlt man sich wohl, wenn man von anderen bemitleidet und verhätschelt wird?
Denken wir einmal an diejenigen, die bei den Paralympics antreten. Wie wahrscheinlich wäre es wohl, dass sie ohne Behinderung auch so erfolgreich wären? Es ist also durchaus möglich, sich eine Behinderung zu Nutzen zu machen und sie, auch wenn es befremdlich klingt, als Chance zu sehen. Es handelt sich schließlich um einen Zustand, den man nicht ändern kann. Auch Menschen mit Behinderung versuchen wie jeder andere, das Beste aus der eigenen Situation zu machen. Aufgrund der Gesellschaft, in der wir leben, müssen sie sich dafür jedoch oft sehr viel mehr ins Zeug legen, als unser einer. Dafür sollte es also kein Mitleid geben, sonder Anerkennung und Respekt, vor der Leistung die erbracht wird.
Um der Sache etwas genauer auf den Grund zu gehen und nicht einfach über Menschen zu reden, in die auch ich mich nicht hineinversetzen kann, habe ich mich auf die Suche nach jemandem gemacht, der mir einen besseren Einblick in sein Leben mit Behinderung geben kann. Hierbei traf ich auf Vanessa Braun, die bereits an den Paralympics und der Junioren-Weltmeisterschaft 2016 teilgenommen hat. Mit ihren gerade mal 19 Jahren, ist sie einer der zielstrebigsten Menschen, mit denen ich mich je unterhalten habe. Sie leidet unter Ataxie (unterschiedliche Störungen des Gleichgewichtes und der Koordination) und einer Sehbehinderung. Das hält sie jedoch von nichts ab.
„Wie lange sind deine Sehbehinderung und die Ataxie schon dein Begleiter?“
„Ich bin schon seit meiner Geburt sehbehindert. Genauer gesagt sehe ich 30 Prozent, was sich in meinem Alltag sehr bemerkbar macht. Die Ataxie habe ich ebenfalls von Geburt an. Ich bin ein Frühchen und das waren eben die Folgen.“
„Wie genau machen sich die Ataxie und die Sehbehinderung denn im Alltag bemerkbar und welche Probleme bringen sie mit sich?“
„Die Ataxie fällt sehr im grobmotorischen Bereich auf ,wenn ich zum Beispiel etwas ausschneiden. Deshalb war Kunst in der Schule immer schlimm für mich. Ich ging auf einer Förderschule. Nun besuche ich, um die mittlere Reife zu machen, eine normale Schule. Diese Umstellung war schon ganz schön schwierig, da ich z.B Probleme hatte zu lesen was an der Tafel steht. Dazu benutze ich nun ein Lesegerät, dass mir die Arbeit erleichtert. Die Sehschwäche macht sich im Dunkeln oder beim Treppen runter gehen am stärksten bemerkbar.“
„Wann hast du mit dem Sport angefangen und wo waren die Berührungspunkte?“
„Im Jahre 2010 habe ich mich an meiner Schule für die Sport-Ag eingetragen, die jeden Donnerstag stattfand. Es war eine Schule für Blinde und Sehbehinderte. Eigentlich wollte ich nur ein Mal kurz reinschnuppern, aber dann fand ich richtig gefallen am Sport. Ich ging einige Monate hin, um mir die Zeit zu vertreiben, nicht mehr und nicht weniger. Doch meine Sportlehrerin erkannte schnell mein Potenzial und nahm mich, sowie einige Mitschüler, zu einem ersten Wettkampf mit. Das war noch 2010. Es folgten weitere Wettkämpfe. Im Jahr 2012 stand dann mein erstes Highlight an. Ich durfte in das paralympische Jugendlager und die Paralympics in London hautnah erleben.
Seitdem hatte ich den Wunsch, auch einmal bei den Paralympics zu starten, was dann 2016 auch geklappt hat. Meine erste Junioren-Weltmeisterschaft war ebenfalls 2016. Dass ich dort so viel reißen würde, hätte ich nicht gedacht. Ich laufe 100m und 200m. Auch den Weitsprung mache ich. Ich betreibe also Leichtathletik. Aber ich definiere mich nicht nur über den Sport und die Erfolge, die ich damit erringe. Ich kann auch kreativ sein. Meine Aufsätze in Deutsch wurden immer sehr gelobt. Ich lese und schreibe gerne Geschichten. Von 2007-2011 spielte ich auch in einem Theaterverein. Aber dieses tolle Hobby musste ich, aufgrund des Sportes aufgeben, da ich vier Mal die Woche, täglich zwei Stunden, trainiere.“
„Sind Hobbys, wie Lesen und Schreiben, nicht zu anstrengend mit einer Sehbehinderung?“
„Für Arbeiten zu lernen und Hausaufgaben zu machen muss irgendwie gewuppt werden. Es ist manchmal sehr schwierig, doch machbar. Lesen und Schreiben strengt mich schon sehr an, aber ich habe so viel Freude daran, dass ich manchmal über diese müden Augen hinwegsehen kann.“
„Wie reagiert dein Umfeld auf dich und deine Entscheidung, dich dem Sport zu widmen?“
„Mein Umfeld freut sich sehr für mich. In meinem Sport muss man auch ehrgeizig sein. Denn ohne Biss geht es nicht. Natürlich gibt es immer Mal wieder Menschen, die einem den Erfolg nicht gönnen. Doch das kennt denke ich jeder. Man sollte sich davon aber nicht unterkriegen lassen und immer für sich und seine Träume, Hoffnungen, Ziele und Ideale kämpfen. Ein weiterer Traum von mir wäre es, mal ein Buch zu veröffentlichen.
Leider mangelt es mir an den Ideen, um ein Buch zu Ende zu schreiben. Auf meiner Seite auf Fanfiktion.de, findet man Geschichten/Fanfictions von mir, welche sich im fantasy Bereich ansiedeln.“
„Woher nimmst du den Ansporn, die Motivation, dein Leben so Zielstrebig in die Hand zu nehmen? Unterstützt deine Familie dich?“
„Diese Einstellung liegt mir irgendwie im Blut. Ich war schon immer ein Kämpfer und gebe niemals auf. Ja, meine Familie unterstützt mich wo sie nur kann. Ohne meine Familie wäre das alles gar nicht möglich. Um einen Führerschein zu machen muss man mindestens 50 Prozent auf einem Auge sehen können. Ich komme mit meinen Augen gerade mal auf knapp 30 Prozent. Ich werde mir den Traum vom Auto also nicht erfüllen können. Doch ich stecke viel Hoffnung in die selbstfahrenden Autos, die eines Tages auf den Markt kommen werden. Ich bin also auf meine Familie angewiesen, da mich immer jemand zum Training fahren muss. Ansonsten wäre ich Stunden mit den Öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs.“
„Denkst du ohne deine Einschränkungen würdest du auch Sport machen, gar an den olympischen Spielen teilnehmen?“
„Ganz ehrlich? Nein. Ich wäre ohne meine Behinderung ganz gewiss nicht der Mensch, der ich jetzt bin. Das schätze ich sehr. Jeder Mensch ist einzigartig und sollte etwas aus seinen Leben machen. Nur Mut. Mut tut gut. Diesen Mut möchte ich den Menschen gerne vermitteln, da ich mich als Vorbild sehe, wenn es darum geht, etwas zu erreichen.“
„Also stellt deine Behinderung für dich auch einen Voreilt, quasi eine Chance da?“
„Ja. Am Anfang sah ich es als Last. Besonders als ich in die neue Schule kam und dort auf „normale“ Menschen traf. Doch ich wurde gleich gut aufgenommen und habe mich eingelebt.
Am Anfang war es natürlich schon sehr ungewohnt. Auf der anderen Schule hatten wir sehr kleine Klassenverbände. Jetzt sitzen da neben mir 25 Schüler. Ich hatte letztes Jahr auf der selben Schule auf der ich jetzt bin, eine Ausbildung zur Kauffrau für Büromanagement begonnen. Doch mein Betrieb nahm mich nicht, da ich nur den Hauptschulabschluss habe und ein Realabschluss von Nöten ist. Nun möchte ich gerne die mittlere Reife schaffen. Danach dann eine Ausbildung.
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„Was für eine Ausbildung schwebt dir vor und wäre das überhaupt zeitlich, neben dem Sport, machbar?“
„Welche Ausbildung ich machen werde weiß ich noch nicht. Vielleicht entwickel ich mich auch, was das angeht, weiter und entscheide mich noch für etwas ganz anderes. Das Leben ist lernen und nicht Stillstand. Also wer weiß was passieren wird und wohin sich alles entwickelt. Ob das zeitlich neben dem Sport möglich ist, spielt keine Rolle. An erster Stelle steht die Schule, denn ich kann später von dem Sport nicht leben. Er finanziert später nicht mein Leben oder mein Haus. Aber derzeit macht er mich sehr glücklich.“
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