Wenn wir hören, dass jemand ohne Migrationshintergrund zum Islam konvertiert ist, werden wir gleich stutzig. Wir gehen bei den Männern von Extremismus und Gehirnwäsche aus und bei den Frauen davon, dass sie von ihrem Mann dazu gezwungen wurden. Annahmen solcher Art kommen meistens dann zu Stande, wenn man sich mit einem Thema nicht intensiv auseinander setzt. Sicherlich gibt es die Fälle, in denen Radikalisierung oder Zwang im Vordergrund stehen, aber das ist nicht die Regel. Umso trauriger also, dass uns eine Annahme, die nicht mal der Regel entspricht, zuerst in den Kopf kommt. Auch wenn ich selber Atheistin bin, interessieren mich einige Aspekte der Religion.
Es ist immer wieder interessant zu hören, wie unterschiedlich die Auffassungen und Regeln von bestimmten Religionen sind und welche Vorurteile eben wirklich nur Vorurteile sind. Noch interessanter finde ich allerdings, die Entscheidung, wenn jemand vom Christentum, Islam oder einer anderen Glaubensrichtung konvertiert. Deshalb habe ich mich auf die Suche gemacht und bin dabei auf *Nina gestoßen. Vor einiger Zeit ist sie vom Christentum zum Islam konvertiert.
„Wie bist du überhaupt mit dem Islam und seinen Hintergründen in Kontakt gekommen?“
„Eigentlich kam alles durch meinen Mann. Er selbst kommt aus der Türkei und ist Muslim. Wir haben uns 2014 kennen und lieben gelernt. Ich selbst war zu dem Zeitpunkt Christin, jedoch war ich schon seit ca. 2008 sehr kritisch, manchen christlichen Praktiken und Überzeugungen gegenüber.
Wir lernten uns kennen und die Tatsache, dass ich Christin war, war nie ein Thema zwischen uns. Die Hauptsache war, dass der andere an Gott glaubte. (Ob man ihn nun Gott, Allah oder Jahwe nennt ist völlig egal. Es gibt nur einen Gott. Damit glauben wir an den selben Gott. Nur die Praktiken und manche „Erzählungen“ sind anders).
Nach und nach wurde ich neugierig. Ich fragte mich, was den Islam ausmacht und was es bedeutet Muslim zu sein. Ständig fragte ich meinen Freund „wie das im Islam ist“. Ich glaube es war im Januar 2015, da kaufte ich mir meinen ersten Koran. Es war eine Reklameausgabe (leider teilweise völlig falsch übersetzt. Jedoch blieb der Inhalt der Aussage gleich). Ich begann zu lesen und war positiv überrascht. Nachdem ich mir eine „bessere“ Ausgabe besorgt hatte, in der auf der einen Seite Arabisch steht und auf der anderen Deutsch, begann ich immer mehr zu verstehen.“
„Welchen Praktiken des Christentums fingst du damals an kritisch gegenüber zu stehen?“
„Meine Mutti ist gebürtige Polin und damit, wie fast alle Polen, katholisch. Mein Vater kommt aus dem Osten und stammt auch aus einer katholischen Familie. Alle praktizierend. Es ging mir tatsächlich um die Unterschiede vom Islam und dem Christentum. Was ist z.B mit Jesus? Jesus ist im Christentum der Sohn Gottes – er wird im Christentum verehrt wie Gott. Er ist aber nicht Gott. Er war „nur“ ein Mensch, wie jeder andere Prophet auch.
Gott hat es gar nicht „nötig“ einen Sohn zu haben. Er ist allmächtig und übertrifft unseren Verstand. Die nächsten persönlichen Fragen waren für mich: Was ist z.B damals wirklich auf dem Konzil von Nicäa diskutiert worden? Welche Texte wurden aus der Bibel entfernt? Damit macht es die Bibel doch zu einem unvollständigen hlg. Buch. Ich fing an das Christentum in Frage zu stellen. Wer an dem Punkt ankommt, an dem die Antworten für einen nicht überzeugend genug sind, sollte sich glaube ich ernsthaft Gedanken machen. Das tat ich auch. Ich stellte gefühlt mein halbes Leben in Frage.
Alles in allem bin ich im November 2015 dann konvertiert. Ich habe meinem Mann bis zu diesem Tag nichts von meinen Plänen, zu konvertieren, erzählt. Er war deutlich überrascht, aber auch sehr glücklich. Wir führten zusammen die große Waschung durch (er zeigte es mir) und wir begannen gemeinsam das Glaubensbekenntnis zu sprechen. Auf Arabisch, was für mich auch Neuland war. Danach beteten wir gemeinsam und haben im Koran ein paar Suren gelesen und darüber gesprochen.
Eine Sache muss ich dazu sagen, welche mich sehr traurig gemacht hat. Ich konvertierte genau am Freitagabend den 13.11.2015. Es war der Abend der Anschläge in Paris. Ich bin konvertiert und zum selben Zeitpunkt wurden in Paris so viele Menschen von den ISIS- Idioten getötet. Ich habe erst am nächsten Morgen davon erfahren, da bei uns alle elektronischen Geräte, auch Telefone, ausgeschaltet waren“
„Denkst du, du wärst auch ohne deinen Mann, also durch eigenes Interesse, in Kontakt mit dem Islam gekommen und konvertiert?“
„Ich hätte vielleicht ein paar Jahre länger gebraucht um zu kapieren, dass der Islam was für mich ist. Aber ja, ich glaube schon.“
„Warum hat der Islam dir denn so zugesagt? Welche Punkte sind für dich wichtig gewesen um zu konvertieren. Womit konnte dich der Islam überzeugen und welche Veränderungen bringt er, besonders im Bezug auf Verzicht, für dich mit sich ?“
„Das Christentum und der Islam sind sich sehr ähnlich. Die allgemeinen Unterschiede sind glaube ich jedem bekannt. Ich glaube an Jesus. Im Islam ist er jedoch ein Prophet. Ein normaler Mensch, welcher auch außergewöhnliches vollbracht hat. Das war der entscheidende Punkt glaube ich, an dem ich gesagt habe: Ja! Das ist es.
Der Verzicht auf Schweinefleisch steht auch in der Bibel (Altes Testament), wurde jedoch im neuen Testament aufgehoben. Ich persönlich habe kein Problem damit gehabt, auf Schweinefleisch zu verzichten. Ich habe schon lange bevor ich konvertiert bin kein Schwein mehr gegessen. Auch keine Gelatine. Das wurde mir auch von meinem Hautarzt geraten, da ich Probleme mit der Haut hatte.
Ein Kopftuch trage ich auch nicht. Zum Gebet lege ich mir lediglich ein Tuch leicht über den Kopf. Im Koran steht nicht „Frau du musst ein Kopftuch tragen“, sondern nur „bedecke dich“. Auf Ersteres bin ich noch nie gestoßen. Das gilt demnach für Männer, wie auch für Frauen. Das bedeutet für mich, dass ich nicht jedem meine Brüste und meinen Hintern zeigen soll, sondern aufpassen soll, was man sieht. Selbiges gilt übrigens für Männer. Zudem bin ich noch nicht so fest im Wissen und spreche auch kein Arabisch, was ich aber noch lernen möchte. Ich lerne jeden Tag ein bisschen was über den Islam dazu. Man lernt nie aus.“
„Was sagt deine Familie dazu, dass du konvertiert bist?“
„Ich habe es meiner Familie noch nicht erzählt. Lediglich mein Mann und ein paar Freunde wissen es. Es ist heutzutage ziemlich schwer als Muslim. Wir sind kurz vor der Geburt unseres Sohnes aufs Land gezogen. Dort gab es 26% AfD-Wähler. Die Leute haben Angst vor dem Unbekannten. Ich strebe derzeit außerdem eine Karriere im Justizwesen an, da spreche ich nicht über Religion. Gerade hier nicht. Meiner Familie werde ich es vielleicht in ein paar Jahren erzählen, wenn einige Ziele erreicht sind, die ich derzeit noch verfolge.“
„Warum wartest du damit, es deiner Familie zu sagen? Ist ein allgemein nicht so gutes Verhältnis daran schuld oder eher die Angst, vor der Reaktion?“
„Bei meinen Eltern lasse ich mir einfach noch Zeit. Unser Verhältnis ist sehr gut, jedoch gibt es zur Zeit anderes, was wir gemeinsam in Angriff nehmen (mein Mann und ich planen langsam den Hausbau).“
„Was haben die Freunde, denen du es erzählt hast dazu gesagt?“
„Also meine Freunde haben es erstaunlicher Weise sehr gut aufgenommen. Aber auch ihnen habe ich es erst nach ca. einem halben Jahr gesagt (Ramadan stand vor der Tür).“
„Oft gibt es die Annahme, dass Frauen im Islam nichts zu sagen haben und unterdrückt werden. Kannst du das von anderen Muslimen die du kennst oder auch von dir selber bestätigen?“
„Ich finde diese allgemeine Annahme wirklich schrecklich! Männer und Frauen sind auch im Islam gleichberechtigt. Beide sind Teil einer Beziehung und Gewalt jeder Art ist untersagt. Ein Mann ist nur so gut, wie er seine Frau behandelt. So bzw. so ähnlich steht es im Koran. Gewalt – egal welcher Art – ist untersagt.
Ich selbst habe jahrelang geboxt, studiere noch und strebe eine Karriere an. Auch mit Kind. Ich wünsche mir das volle Paket im Leben.
Ich selbst habe nie Gewalt erlebt. Erst recht nicht von meinem Mann. Auch keinen Zwang oder Drohungen. Das Gegenteil ist der Fall. Das habe ich bisher auch bei meinen muslimischen Freunden so erlebt.“
„Erzieht ihr euer Kind nach westlichen Sitten und Gebräuchen oder wird so was wie Weihnachten oder Ostern gegen andere Feiertage ausgetauscht?“
„Unser Mini wird mit dem Islam groß, jedoch soll er alle Facetten des Lebens kennen. Natürlich zelebrieren wir dann auch Weihnachten. Für uns und für viele andere Muslime ist es ein Fest für die Gemeinschaft. Man feiert nicht die Geburt Jesu, wie im Christentum, sondern nutzt die Zeit einfach um sich mit Verwandten und Freunden zu treffen (machen die Atheisten ja nicht anders).
Wenn unser Sohn später zu mir sagt, er möchte Christ sein, dann soll er das auch werden, wenn es ihm damit ernst ist.
Ich werde ihm mein Wissen über beide Religionen nahebringen. Er soll weltoffen werden und nicht mit Scheuklappen durchs Leben laufen.
Ich sehe bei sehr vielen Menschen, dass sie mit einem Tunnelblick durchs Leben laufen. Das macht mich traurig. Wir leben hier in Deutschland, das ist unser Zuhause. Demnach wäre es doch völliger Blödsinn, ihm die deutsche Kultur zu verweigern. Es ist sogar kontraproduktiv und sehr fatal, wie ich finde. Ich denke allerdings, dass es oft der Fall ist, dass Muslime unter sich bleiben. Oder auch Christen unter sich. Ähnlich wie bei den Nationalitäten.
Man sollte mehr aufeinander zugehen. Dann merkt man, dass die Türken nicht nur leckeren Dürüm machen und die Polen nicht stehlen. Wie soll ansonsten Integration funktionieren?“
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Hallo Patricia, vielen Dank für den tollen Artikel. Ich selbst beschäftige mich auch gerade sehr intensiv mit dem Gedanken zu konvertieren, von daher ist dieses Interview sehr interessant und lehrreich für mich! Meinst du, du könntest den Kontakt zwischen mir und Nina (ich weiß, der Name ist geändert 😉 ) herstellen? Ich hätte noch einige Fragen an sie. Wenn das nicht möglich oder erwünscht ist, auch kein Problem, trotzdem vielen Dank!
Hallo liebe Christiane, da besagte Dame Anonym bleiben will, ist es mir leider nicht möglich einen Kontakt herzustellen. Ich möchte dir aber ans Herz legen, dich besonders auf Facebook umzusehen und nach Gruppen zu diesem Thema zu suchen. Hier wirst du sicherlich Antworten auf deine noch offnene Fragen finden. Ich wünsche dir alles Gute und hoffe, dass ich dir ein wenig helfen konnte. Lg, Patricia.
Liebe Nina
Ich finde dein Bericht/Interview sehr sympathisch.Du bist ein Mensch mit weitem Herzen,wie auch dein Mann….
Dennoch hinterläßt es sehr viele offene Fragen.
Ist aber bestimmt auch zum Teil der kürze des Berichts geschuldet.
Du schreibst, du warst Christ.
Allerdings ist es im Christentum nicht so das man Christ ist weil man christliche Eltern hat und christlich sozialisiert, erzogen wird.
Ich habe als junge Frau das Christentum hinter mich gelassen und woanders Wahrheit gesucht.
Ich heilt mich auch für eine Christin.
Was mir da in meiner Jugend als Christentum verkauft wurde , fand ich langweilig, unerfüllend, nicht hilfreich und heuchlerisch….
Mein Fehler war.Ich habe mich nie selbst auf die suche gemacht, nie die Quelle selbst untersucht,die Bibel.
Sondern ich habe Christus wegen den Christen und ihren falschen Aussagen verworfen.
Man kann eine Religion auch nicht aus der Perspektive einer anderen Religion untersuchen..das ist verzerend.
Das ist nur dann ok. wenn du dieser Religion die Gelegenheit gibst auch für sich selbst zu sprechen….Nur dann ist es fair.
Du sagst , es gibt nur einen Gott.
Das stimmt..
Aber die wirklich wichtige und spannende Frage ist; welche Religion representiert diesen einen Gott ?
Im Christentum ist Jesus die absolut zentrale Person.Er behauptet,“wer mich sieht, sieht den Vater.“ wow!!
Das heißt wer Jesus beobachtet, ihm zusieht, sieht Gott in Aktion !
Jesus tepresentiert Gott , genau das nimmt er für sich in Anspruch…..
Und für mich…..ich mache es jetzt ganz kurz….
Wenn ich Jesus anschaue,wie er ist, wie er sich verhält, mit Menschen umgeht…..
Dann ….ja….diesem Gott möchte ich dienen….
denn dieser Gott liebt mich….bedingungslos…
Ich wünsche dir alles gute.Gott segne dich.
Ich werde deinen Text an die Dame aus dem Interview weiterleiten. Danke für die ausführliche Beschreiben deiner eigenen Geschichte.