So ziemlich jeder Mensch kennt jemanden, der Adipös ist. Der ein oder andere von uns, kennt auch jemanden der unter Magersucht leidet. Beides wird im Bereich der Essstörungen angesiedelt. Was aber, wenn man eine dieser Störungen in den Griff bekommt und dadurch in die nächste Essstörung rutscht? Genauso ergeht es *Larissa (28) derzeit. Seit der Geburt ihres Ersten von 5 Kindern, nahm sie immer weiter zu. Eine lange Zeit lebte sie mit der Diagnose Adipositas Stufe 3. Eines Tages packte sie jedoch der Ehrgeiz und sie fing an abzunehmen. Eigentlich ein Erfolg würde man denken. Bis zu dem Zeitpunkt, an dem alles umschlug und sie in die Magersucht rutschte.
„Was war dein Höchstes und was dein niedrigstes Gewicht?“
„Das waren 123 Kilo zu Höchstzeiten und das niedrigste war 52 Kg, bei einer Größe von 1,67m.“
„Wie kam es, dass du adipös wurdest, spielte Veranlagung eine Rolle?“
„Ich war als Kind dünn, nahm aber im Alter von ca.13 Jahren zu und nahm mit ca. 15 Jahren 20 kg alleine ab. Ich habe mein Gewicht sehr gut gehalten, bis ich mit dem ersten Kind 2009 Schwanger wurde. So nahm ich bis zum 5 Kind (in 7 Jahren )von 72 Kg auf 123 kg zu.“
„Was hatte das für Folgen, in körperlicher wie auch psychischer Sicht, für dich?“
„Körperlich nur, dass ich mich weniger bewegen konnte. Zum Glück habe ich keine Erkrankungen bekommen, die durch meine Adipositas begründet wären. Psychisch hat es schon mehr ausgemacht. Damals kleidete ich mich weitgehend schwarz. Mein Selbstbewusstsein wurde stark durch mein Gewicht beeinträchtigt und ich fühlte mich total unwohl. Das wiederum hat dazu geführt, dass ich mich immer mehr zurück gezogen habe.“
„Wie hat dein Umfeld auf dein Übergewicht reagiert?“
„Meine Familie ist ganz normal mit meinem Gewicht umgegangen. Es hat sie nicht gestört. Ebenso erging es mir mit meinen Freunden. Aber Fremde, die haben den Kontakt zu mir eher gemieden – hatte ich zumindest das Gefühl.“
„Bis wann warst du noch adipös?“
„Bis wann genau ich noch Adipositas hatte, weiß ich nicht ,aber ich habe letztes Jahr im Mai mit dem Abnehmen angefangen. Damals hatte ich Adipositas dritten Grades. Also habe ich für die Abnahme ca. 1.5 Jahre gebraucht.“
„Durch was und wie kam der Stein ins Rollen, was deine Abnahme angeht?“
„Ich wurde von meiner Schwester schwer beleidigt. Zum Teil auch in der Öffentlichkeit. Das hat mir ganz schön zugesetzt. Außerdem wollte ich endlich was ändern. Wieder dünner sein. Die dicke Zeit hinter mir lassen Ich habe angefangen mich gesünder zu ernähren und mich nicht mehr spät abends mit Süßigkeiten zu vergnügen. Ich fing an sehr viel frisch zu kochen, statt fertig Produkte zu nutzen. Außerdem habe ich mit Zumba angefangen. Das hat mir beim Abnehmen sehr geholfen. Disziplin ist das A und O.“
„Wie reagierte dein Umfeld auf die Veränderung?“
„Sehr gut. Mein Mann z.B hatte selbst ein paar Kilo zu viel und hat mitgemacht. Der Rest meines Umfelds hat auch positiv darauf reagiert. Alle fanden es erst Mal gut, denn ich hatte ja deutlich zu viel auf den Rippen. Anfangs ging es mir selber mit der Diät eher nicht so gut, aber mit der Zeit gewöhnte ich mich daran. Irgendwann lief es dann immer besser und die Waage zeigte weniger an, was mich zusätzlich motivierte.“
„Wann fiel dir auf, dass das in deinem Fall eigentlich gesunde Abnehmen in Magersucht umgeschlagen ist?“
„Solange ist das noch gar nicht her. Es fiel mir erstmals auf, als ich um die 50 Kg wog. Mein Hautüberschuss war immer deutlicher zu sehen und ich fing an noch weniger zu essen.“
„Haben dich Andere schon zuvor darauf hingewiesen?“
„Ja auf jeden Fall. Erst war es die Angst der Anderen (mein Umfeld inkl. Ärztin, die sagten: „Pass auf, dass es nicht dazu kommt, dass du Magersüchtig wirst.“) Dann vor kurzem die endgültige Diagnose von der Klinik, dass ich Magersüchtig bin.“
„Hast du die Sorgen der Ärzte und Verwandten damals eher als Angriff verstanden, oder war dir schnell klar, dass sie mit der Vermutung Magersucht Recht haben?“
„Am Anfang war es für mich eher ein Angriff, da ich es nicht eingesehen konnte – war ich doch so froh, endlich abzunehmen. Mittlerweile sehe ich es aber genauso wie alle Anderen und versuche daraus zukommen.“
„Wie macht sich die Magersucht bei dir, mal abgesehen vom Gewichtsverlust, bemerkbar?“
„Mir ist ständig und überall extrem kalt. Jeder Gang nach draußen ist eine Qual. Das war früher, als ich noch übergewichtig war, gar nicht so. Laut Ärztin liegt es daran, dass ich kaum noch Körperfett habe. Ich habe Bradykardien entwickelt. Vor der Abnahme war noch alles in Ordnung mit meinem Herzen. Durch den Missbrauch von Abführmitteln, während meiner Diät, habe ich außerdem starke Darmprobleme entwickelt.
Seit neustem habe ich außerdem Probleme mit meinen Zuckerhaushalt. Zum Beispiel unterzuckere ich mehrmals am Tag. Ich habe das Gefühl, die Kontrolle verloren zu haben. Ich habe einfach eine komplett falsche Wahrnehmung von mir selber entwickelt. Auch heute fühle ich mich zum Teil immer noch zu dick. Die leere Haut, die durch die Abnahme über geblieben ist, trägt viel Schuld daran. Ich esse derzeit noch soviel, dass ich gerade so nicht weiter abnehme, auch wen es mir sehr schwer fällt.“
„Befindest du dich wegen der Magersucht in Behandlung und wie sieht diese aus?“
„Ja, aber erst seit neustem. Ich war beim Erstgespräch in einer Klinik und werde dort ambulant betreut. Ich hoffe, dass es mir helfen wird, aus diesem Teufelskreis wieder heraus zu kommen. Ich versuchen zurzeit an meiner Wahrnehmung zu arbeiten, was nicht so einfach ist und werde nun fortgehend in die Klinik, die mich ambulant betreut gehen. Das regelmäßige wiegen bei meiner Hausärztin und der rege Austausch mit ihr, tut mir sicherlich gut. Ich hoffe das ich mit allen Fachärzten, meiner Hausärztin, dem Diabetologen und natürlich meiner Familie und Freunden, aus der Magersucht komme. Und das hoffentlich auch ohne einen stationären Aufenthalt in einer Klinik.“
„Hast du dich, besonders anfangs, durch dein Umfeld, Kompliment usw. dazu animiert gefühlt weiter abzunehmen?“
„Ja bis zu einem gewissen Punkt des Gewichts schon, aber irgendwann wurde ich meinem Umfeld, ihrer Meinung nach, zu Dünn. Das haben sie, bzw. sagen sie mir auch heute noch immer wieder, dass es nun reicht und ich zu dünn sei, es nicht mehr schön aussieht sondern eher krank. Aber klar, während der Abnahme, gerade bei den ersten 30-40 Kilo z.B, hagelte es nur noch so Komplimente . Nun sagen alle nur noch das ich zunehmen soll.“
„Wie siehst du dich selber, empfindest du dich als hübsch und denkst du weiter abzunehmen würde dein Selbstbild verbessern?“
„Im Gesicht und am Hals finde ich mich zu Dünn. Am Bauch ok und alles unterhalb des Bauches finde ich zu dick. Und nein, ich finde mich eher nicht hübsch. Ich denke eher nicht, dass sich mein Selbstbild dadurch verändern würde. Aber ich habe die Hoffnung, dass ich dünner an den Stellen werden könnte, wo ich mich zu dick fühle. Wobei ich ja eigentlich das Ziel habe, meine Wahrnehmung zu verändern, bzw. mich zu akzeptieren wie ich bin.“
„Die Magersucht hat bei dir, im Vergleich zu den Problemen die das Adipös sein mit sich gebracht hat, eindeutig schlimmere Auswirkungen. Wie siehst du selbst das? Fühlst du dich jetzt wo du zu dünn bist wohler, oder war es als du zu dick warst besser?“
„Ich fühle mich völlig anders als damals. Natürlich kann ich jetzt andere Sachen tragen, die ich damals gar nicht anziehen konnte. Von Größe 48/50 auf 34 zum teil 32 ist eben ein gewaltiger Unterschied . Ich würde aber nicht sagen, dass ich mich jetzt wohler fühle.
Damals hatte ich keine gesundheitlichen Probleme. Ich konnte zwar nicht anziehen was ich wollte und war unbeweglicher, aber jetzt habe ich viel mehr körperliche Einschränkungen.“
„Ich vermute, früher war essen etwas, was du sehr gern getan hast. Evtl. auch um dich gut zu fühlen. Seit der Magersucht löst Essen ja eher Angst in dir aus. Wie erklärst du dir diesen Wandel?“
„Ich habe einfach eine unheimliche Disziplin entwickelt, während der Abnahme. Nun ist es an mir diese wieder zu durchbrechen und abzulegen. Los zu lassen.
Ich muss anfangen das Gefühl, meinen Körper kontrollieren zu wollen und zu können los lassen.“
„Was würdest du jemandem, der sich auf dem Weg in die Magersucht befindet, raten ?“
„Bei bestehendem Verdacht auf Magersucht sollte man versuchen sich direkt Hilfe zu suchen. Oft sind es ja Andere, die sagen es ist zuviel mit dem Abnehmen. Mir hat man früh genug geraten aufzupassen, damit ich nicht in die Magersucht rutsche, aber ich wollte einfach nicht hören. Also habe ich mir zu spät Hilfe gesucht. Zu spät in der Hinsicht, dass ich durch die Magersucht gesundheitliche Probleme bekommen habe. Hätte ich früher auf andere gehört und ihrer Einschätzung getraut, würde es mir heute sehr viel besser gehen.“
*Der Name wurde auf Wunsch geändert
Ein weiterer Artikel, der für sie interessant sein könnte: https://blickwinkelmensch.de/mach-dich-krass-ich-habe-80-kg-in-einem-halben-jahr-abgenommen/
4 Kommentare