Depressionen und vor allem das Thema Suizid, rücken in der Wahrnehmung der Gesellschaft zwar immer mehr in den Fokus, werden aber dennoch weiterhin eher als Tabuthema angesehen. Die wenigsten Betroffenen trauen sich offen mit Freunden oder Angehörigen über ihre Gedanken zu reden. Dahinter steckt meist die Angst, verurteilt, nicht verstanden oder gar ausgegrenzt zu werden.
Es handelt sich eben um ein Thema, von dem sich viele Ausstehende überfordert fühlen. Genau diese Wahrnehmung kann sich nur ändern, wenn Themen wie Suizid und Selbstmordgedanken im Allgemeinen öfter und vor allem offener kommuniziert werden. Auch Claudia hat mit ihren grade mal 36 Jahren so viel erlebt, dass sie keinen anderen Ausweg mehr sah, als ihrem Leben ein Ende zu setzen. Für sie schien es die einzige Möglichkeit zu sein, einem Leben voller Leid zu entfliehen. Nur durch Glück überlebt sie ihren Suizidversuch.
Um anderen einen Einblick in ihre Gefühlswelt zu geben und ihnen zu zeigen, dass es möglich ist, aus dieser dunklen Welt wieder heraus zu kommen, hat sie einen großen Teil ihres Lebens niedergeschrieben und unter dem Titel „Narben meiner Seele“ veröffentlicht. Ein weiterer Schritt in die Richtung der Enttabuisierung.
„Claudia, lange hast du gedacht, deine Kindheit wäre sehr schön gewesen, was löste zum ersten Mal den Gedanken bei dir aus, du könntest da einiges verdrängt haben?“
„Das kam erst im Erwachsenalter. Ich wusste, dass ich die Scheidung meiner Eltern nicht gut weggesteckt hatte, aber ich habe das nie als ein Problem für meine eigene Entwicklung gesehen. Während meiner ersten Therapie 2009 habe ich das auch noch genau so angegeben. Erst als als ich 2014 wegen einem Suizidversuch in eine Klinik ging und dort sehr viel tiefer in meinen Erinnerungen gegraben wurde, ist mir bewusst geworden, welche Einflüsse aus meiner Kindheit mich negativ geprägt haben.“
„Änderte diese Einsicht etwas an dem Verhältnis zu deiner Familie?“
„Im Grunde war das Verhältnis zu meiner Familie immer gut. Seit meinem Suizidversuch wurde die Bindung zu meinen Eltern – vor allem zu meiner Mutter – allerdings noch stärker. Ich habe sehr viel mit ihr über die Therapie und die Themen die ich dort besprochen habe, geredet. Sie hat dadurch einen ganz anderen Blick auf mich und die Erziehung, die sie für richtig hielt, bekommen. Das wiederum führte bei ihr zu schweren, unberechtigten Selbstvorwürfen. Im Großen und Ganzen hat es uns aber zusammengeschweißt. Solche Situationen haben mir immer wieder gezeigt, dass reden hilft.
Auch, wenn es schwer erscheint und – gerade wie bei ihr – anfangs eher dazu führte, dass sie sich schlecht fühlte – haben all diese Gespräche zu viel mehr Offenheit und Verständnis bei uns allen geführt. Irgendwann habe ich meinen Mut zusammengefasst und auch meinen Vater mit meinen Gedanken zur Vergangenheit konfrontiert. Nach seiner verständnisvollen Reaktion fühlte ich mich so erleichtert, dass all die traurigen Gedanken der Kindheit regelrecht verschwanden. Es war, als löste sich endlich ein Knoten. Nur allein durchs Reden.“
„Welchen Einfluss hatten die Erlebnisse aus deiner Kindheit auf dein Leben als Erwachsene?“
„Ich hatte als Kind eine sehr enge Bindung zu meiner Mutter und trug deshalb auch Schuldgefühle meinem Vater gegenüber in mir. besonders weil ich wusste, dass ich bei einer Trennung oder Scheidung meiner Eltern bei meiner Mutter bleiben würde. Auch haben mein Bruder und ich miterlebt, wie sich meine Eltern oft heftig gestritten und angeschrien haben. Dennoch verziehen sie sich gegenseitig immer und immer wieder und blieben zusammen.
Das hat in meiner Entwicklung – unbewusst natürlich – zu einem Muster geführt. In Beziehungen, egal ob freundschaftlich oder bei einem Partner, habe ich Fehler verziehen, die ich besser hätte nicht verzeihen sollen. Es war regelrecht ein Leitsatz in mir. „Menschen machen Fehler. Und egal, wie schlimm etwas ist, wenn dir ein Menschen etwas bedeutet, dann verzeihst Du ihm.“ So entstanden zum Beispiel auch Beziehungen mit Männern, obwohl ich wusste oder spürte, dass sie fremd gingen. Ich war Geliebte und Betrogene, manchmal wusste ich es, manchmal nicht.“
„Gab es in dem Zusammenhang den ein besonders schwerwiegendes Erlebnis?“
„Ja, definitiv. Aber im Grunde hat mich jede einzelne Beziehung zu einem Menschen geprägt. Jede negative Erfahrung, jede Verletzung, jede Lüge und Enttäuschung hat mich im Laufe meiner Entwicklung verändert. Es hat mich geprägt und vor allem mein Vertrauen zerstört. Es gab eine Beziehung zu einem Mann, den ich immer als seelenverwandt bezeichnete. Nach der Trennung von ihm ging das erste Mal ein Stück in mir kaputt. Es fühlte sich an, als wenn mit ihm ein Teil meiner Seele gegangen war.
Darauf folgte eine längere Beziehung, in der ich oft spürte, dass irgendwas nicht stimmte. Aber aus Angst allein zu sein, wieder zu scheitern und weil es mein Muster war zu verzeihen, blieb ich einige Jahre an der Seite dieses Mannes. Ich lernte 2014 jemanden kennen, der meinem „Seelenverwandten“ sehr ähnelte und erstmals nach Jahren wieder solche Gefühle in mir auslöste, wie damals. Ich wollte daran festhalten und habe auch hier die Warnsignale total übersehen und nicht wahrhaben wollen. Die Geschichte ist nicht mit ein paar Sätzen zu erklären, aber er hat nur gespielt und führte ein Doppelleben.
Mich stürzte das Ganze ins Bodenlose. Depressionen, Leere, Leid, Tränen. Ich war endgültig gebrochen und wollte einfach nicht mehr leiden. Nicht mehr leben. Dass genau dieser Mensch auch nach meinen Suizidversuch weiterhin eine sehr bedeutende – negative – Rolle in meinem Leben spielen würde, ahnte ich damals noch nicht.“
„Litten oder leiden noch andere Mitglieder deiner Familie an psychische Probleme?“
„Ja, vor Jahren schluckte mein Bruder aus lauter Verzweiflung Tabletten. Auch er hat also einen Suizidversuch hinter sich. In etwa zu der Zeit begannen auch meine Depressionen. Mit meiner Mutter redete ich sehr offen darüber, dass ich depressiv war und auch sie deutete an, dass sie hin und wieder etwas wie „depressive Schübe“ verspürte. Aber an eine Therapie hatte sie dabei selbst nie gedacht. Oder besser gesagt, sie war – und ist – immer der Meinung gewesen, dass das alles an ihrer Kindheit liege und man es eh nicht aufarbeiten könne. Mein Bruder selbst war kurzzeitig ambulant in einer Tagesklinik, aber danach wurden seine psychischen Probleme nie wieder zum Thema gemacht.“
„Bereits im Vorwort deines Buches erwähnst du, dass einige Kapitel triggern könnten, Was denkst du sind wohl die schockierensten Situationen, die im Buch beschrieben werden?“
„Das sind die Stellen, an denen ich meine zwei Suizidversuche verarbeite. Ich hatte lange überlegt, ob ich es so detailliert beschreibe, wie es passiert ist. Habe mich aber dafür entschieden, damit meine Leser verstehen, wie verzweifelt und am Ende ich war, um diesen Weg zu wählen. Es ging nicht um einen Hilferuf, sondern um den Wunsch zu sterben. Und da ich heute so weit weg von diesem Wunsch bin und mein Leben lebendiger denn je gestalte, wollte ich genau das dem Leser beschreiben.
Es war keine depressive Phase oder eine Kurzschlussreaktion. Und genau deshalb glaube ich daran, mit meiner Geschichte anderen Menschen, denen es ähnlich ergeht, Mut und Hoffnung zu machen. Es ist mein Ziel zu verdeutlichen, dass es auch wieder Licht am Ende des Tunnels gibt.“
„Wann hast du das erste Mal in deinem Leben über Suizid nachgedacht und was war der letzte Funke, der das Fass zum überlaufen brachte?“
„Bereits mit 11 habe ich über Suizid nachgedacht, hätte es aber zu dieser Zeit bestimmt nie wirklich gewagt. Mit 25 und dann nochmal mit 29 gab es Momente, in denen ich diese Gedanken hatte und auch schon „Vorbereitungen“ getroffen hatte. Glücklicherweise kam es nicht dazu.
Im Jahr 2014 wurde ich dann immer depressiver. Ich litt an chronischer Leere, hatte einfach mein ganzes Dasein, das ständige Kämpfen, Hinfallen und Aufstehen satt. Ich verlor den Bezug zu mir und meiner Seele. Wusste überhaupt nicht, was das ganze Leben eigentlich noch soll, wenn ich eben doch nur unglücklich bin. Als ich dann eine erneute Enttäuschung wegen des Mannes, den ich oben erwähnte, nicht verkraften konnte, habe ich in jener einsamen Nacht im August 2014 versucht, mein Leben mit aller Macht zu beenden.“
„Wie hast du es geschafft, aus dieser Spirale negativer Gedanken und starker Depressionen herauszukommen?“
„Als ich nach meinem zweiten Suizidversuch auf eine geschlossene Station der Psychiatrischen Klinik kam, spürte ich erstmals, dass meine Eltern und mein bester Freund kurz davor waren, selbst daran zu zerbrechen, mich so leiden zu sehen. Genau das veränderte irgendwas in mir und ich begann wieder zu kämpfen. „Ein allerletztes Mal kämpfen“, sagte ich mir immer wieder.
Seit diesem Tag habe ich alles dafür getan, mich immer weiter von meinen negativen Gedanken zu entfernen. Ich habe jede einzelne Therapiestunde aufgesaugt, an mir gearbeitet und mich gemeinsam mit Therapeuten auf die Suche nach der Ursache meiner so zerstörten Gefühlswelt gemacht. Ein dreimonatiges stationäres Therapieprogramm (DBT) hat mir dabei am meisten geholfen. Mein „Hintertürchen zur Erlösung“ durch Suizid war noch sehr lange geöffnet. Aber heute, vier Jahre später, ist sie endlich fest verschlossen. Das Buch zu schreiben, war wie eine Selbstreflektion der letzten Jahre und hat mich noch einmal gestärkt.“
„Wie kam es, dass du dein Buch veröffentlicht hast?“
„Auch wenn mein Buch weder eine Therapie ersetzen, noch Depressionen heilen kann, so möchte ich meine Leser ermutigen. Ich möchte ihnen zeigen, wie man Wege finden kann, seine Psyche zu ergründen. Wie man sein Leben neu gestalten kann und aus der Dunkelheit, der chronischen inneren Leere, herausfindet.
Ich schneide bewusst zum Teil auch banale Themen an, die Einfluss auf mein Leben, mein Handeln und Denken hatten. So können meine Leser Parallelen finden und nachdenken. Und ganz gleich, ob jemand direkt betroffen oder eventuell „nur“ Angehöriger ist, mit meiner Geschichte rege ich zum Nachdenken an und hoffe, möglichst vielen Menschen Mut zu machen. Grade Themen wie „Therapie“ und „Depressionen“ sollten nicht länger als ein Tabu angesehen werden.
*Wenn ihr mehr darüber erfahrenen wollt, wie es zu Claudias Entscheidung, Suizid zu begehen, kam und wie sie es geschafft hat, ihrer inneren Leere zu entkommen, einfach hier lang: https://www.amazon.de/Narben-meiner-Seele-Manchmal-verlieren/dp/3746749344/ref=sr_1_1?ie=UTF8&qid=1535303466&sr=8-1&keywords=narben%20meiner%20seele&fbclid=IwAR1SQB7A0e-MVwTzAVGMPeGg0XSrr-vEDlTY3jUCd9PGC32XKi5LLi9Y0Dc
*Es handelt sich bei dem Link nicht um Werbung. Wir erhalten keine Gewinnbeteiligung aus dem Verkauf des Buches und werden auch nicht anderweitig für die Setzung des Links bezahlt.
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