Viele Menschen weltweit leiden unter Suchterkrankungen. Auch wenn die Spielsucht nicht unter die Substanzabhängigkeit fällt, ist sie nicht weniger verheerend. In den meisten Fällen muss für die Spielsucht genauso viel, oder noch mehr Geld aufgetrieben werden als für eine Sucht, die sich auf betäubende oder euphorisierende Substanzen bezieht.
Es ist also sehr wahrscheinlich, dass das pathologische Spielen den Betroffenen und meist auch Menschen aus seiner näheren Umgebung finanziell zerstört. Oft missbrauchen sie das Vertrauen anderer, lügen und betrügen, oder finden andere Wege, ihre Spielsucht auf Kosten anderer zu befriedigen.
Dahinter steckt meistens jedoch nicht die Absicht andere auszunutzen oder zu hintergehen. Spielsüchtige haben genauso wie Drogensüchtige oft kein Gefühl mehr für die Konsequenzen die anfallen.
Sie verdrängen die bevorstehenden Folgen ihres Handelns und sehen nur noch den nächsten Schuss, oder wie bei der Spielsucht, den nächsten Zug am Automaten, der mit Sicherheit drei Richtige bringen wird.
Daniel ist 32 und schleppt seine Spielsucht nun schon fast sein halbes Leben mit sich rum. Um einen besseren Einblick in die Gefühlswelt und die Denkmuster eines pathologischen Spielers zu ermöglichen, erzählt mir Daniel von seinem eigenen Leben und Leiden als Süchtiger.
„Oft entsteht eine Sucht, um ein bestimmtes Gefühl zu überlagern. War es mit deiner Spielsucht auch so und falls ja, was hast du versucht zu verdrängen?“
„Ja, bei mir war es auch ein Gefühl ,das ich überlagern wollte. Es liegt bei mir in der Kindheit. Ich habe nie das Gefühl von Liebe von meinem Vater bekommen, da er immer Arbeiten war. Wenn er nicht Arbeiten war hat er lieber sein Bier getrunken, statt sich um uns zu kümmern. Also mir hat die Liebe und Zuneigung meines Vaters gefehlt. Dazu kommt, dass ich mit 15 Jahren Vater geworden bin.“
„Wie kann ich mir den Einstieg in die Spielsucht vorstellen und was löste das Spielen für ein Gefühl in dir aus, als du damit anfingst?“
„Also der Einstieg in die Spielsucht kam sehr schleichend. Für mich war es, so dachte ich zumindest, das schnelle Geld, um meine kleine Familie ernähren zu können.
Am Anfang war auch alles super, da ich viele Gewinne erzielen konnte und dachte, dass es immer wieder klappen könnte, das schnelle Geld zu machen. Am Anfang war das ein Gefühl der Macht und Stärke, beim online Poker besser zu sein als alle anderen Mitspieler. Der Vater meiner damaligen Freundin, durch den ich ans Spielen kam, gab mir dabei ein Gefühl von Akzeptanz, das ich von meinen Vater nie zu spüren bekommen habe.“
„Wann stellten sich die ersten Verluste ein und wie oft hast du zu der Zeit gespielt?“
„Die Verluste waren relativ schnell da. Ich würde sagen so nach ca. 3-4 Monaten. Ich spielte zu diesem Zeitpunkt fast täglich Online Poker aber ich hatte halt überhaupt keine Bindung zu dem Geld, da es einfach nur Zahlen waren, die auf dem Onlinekonto standen. Aber die Online-Spiele haben mich nach 2-3 Jahren nicht mehr befriedigen können.“
„Wie hast du dir denn immer wieder neues Geld beschafft? Bei der täglichen Befriedigung einer Spielsucht muss eine Menge Geld geflossen sein, oder ?“
„Meine Ausbildungsvergütung lag bei 450 Euro im 2 Lehrjahr, damit kam ich eigentlich aus. Mit dem Online-Poker ging noch nicht so viel Geld durch. Das eigentlich große Geld ist dann verloren gegangen, als ich mit dem Spielen an Automaten in Spielotheken angefangen habe.
Ich habe mich mit 22 dann von der Mutter meines Sohnes getrennt, eine neue Frau kennen gelernt und damit kam der völlige Ausbruch der Spielsucht zu Vorschein.“
„Was hatte deine neue Freundin mit dieser Entwicklung zu tun?“
„Ich war in der neuen Beziehung, die über 7 Jahre ging, sehr unglücklich und habe nach ungefähr einem Jahr Beziehung täglich in der Spielothek gesessen und gespielt.“
„Hattest du zu der Zeit denn einen gut bezahlten Job, oder wie konntest du deine Spielsucht finanzieren?“
„Ja, zu dieser Zeit hatte ich eine gut bezahlte Arbeit, aber das Geld fürs Spielen reichte mir trotzdem nicht. Ich habe das nötige Geld dann durch Lug und Betrug ergaunert, muss ich zugeben. Beispielsweise habe ich mehrfach das Konto meiner damaligen Freundin leer geräumt und ihr gesagt, dass ihr Lohn noch nicht gekommen sei. Ich war mittlerweile ein guter Lügner und Manipulator und konnte sie davon abhalten, ihr Konto selber zu führen. Zusätzlich fing ich an, mir bei Familie und Freunden Geld zu leihen.“
„War dir zu diesem Zeitpunkt bereits bewusst, dass es sich bei dir um Spielsucht handelt?“
„Ja, das mit der Spielsucht war mir bewusst. Da ich meine Arbeit jedes Mal bei Lohneingang schwänzte um zu Spielen und mein einziger Gedanke jeden Tag nur das Spielen am Automaten war, konnte ich es mir gegenüber nicht leugnen.“
„Wenn du sagst, dass du jedes mal bei Lohneingang auf der Arbeit gefehlt hast, muss das ja aufgefallen sein, oder?“
„Anfangs fiel es noch nicht auf. Nach ein paar Monaten kam jedoch mein Chef auf mich zu und sagte mir, dass er Mal mit mir reden müsse und ich nach Feierabend in sein Büro kommen solle.
Das tat ich auch und er sprach mich darauf an, dass ich immer am 15. des Monats fehlte. Ich beteuerte ihm, es sei bestimmt nur ein blöder Zufall und ich hätte keine Erklärung dafür. Wie gesagt, Spieler sind super Schauspieler und können Menschen sehr gut manipulieren, also nahm er es hin.“
„Wie sah dein Alltag mit Spielsucht aus?“
„Nach der Arbeit bin ich direkt nach Hause, duschen, umziehen und dann direkt in die Spielothek. Meine Freundin ist zu derzeit so gar mitgefahren, damit sie wenigstens noch etwas Zeit mit mir verbringen konnte. Ich habe mir oft Ausreden einfallen lassen, warum wir wieder in die Spielothek fahren müssen.“
„Was für Ausreden?“
„Meine häufigste Ausrede war meine Angst und Panikstörung. Ich fühlte mich dort wohl und bekam keine Panikattacken. Sie hat mich anscheinend wirklich geliebt, um das alles mitzumachen. Nur war meine Spielsucht zu dem Zeitpunkt schon zu stark. Die Liebe die sie mir schenkte reichte einfach nicht aus, um glücklich zu sein. Mein Leben war nur noch eine einzige Lüge.“
„Wann geriet dein Leben dann völlig aus den Fugen?“
„Nach der Trennung von ihr. Ich hatte mir ein solches Lügengerüst aufgebaut. Ich wusste nicht mehr wem ich was erzählt hatte. Alle wussten nun, dass ich ein Problem mit dem Spielen hatte, nur ich empfand es halt als nicht so schlimm. Ich wusste wohl, dass ich ein Problem habe aber sah halt nicht wie groß es schon war, weil ich ja immer alles durchs Spielen verdrängt habe.
Nach der Trennung bin ich dann schwer kriminell geworden um meine Spielsucht weiter zu finanzieren. Ich habe Leute betrogen und Körperverletzungen begangen, weil ich mit mir absolut nicht mehr klar gekommen bin.“
„Was für Lügen hast du genutzt, um die Spielsucht zu finanzieren?“
„Ich habe alles gesagt und genutzt, um an Geld zu kommen, habe so gar meinen Sohn um Geld betrogen. Damals sagte ich ihm, ich würde ihm eine Ps4 bestellen. Er sollte allerdings einen Teil dazu geben. Ich hatte nie die Absicht ihm die Ps4 zu bestellen, sondern brauchte einfach Geld um meine Spielsucht zu befriedigen. Zu dem Zeitpunkt habe ich nicht mehr über die Konsequenzen nachgedacht.
Dann habe ich mir einen Fake-Account über das Datingportal LOVOO gemacht, mit dem Pseudonamen Maximilian. Auf dem Profilbild war ein hübscher Mann zu sehen. Ein Mädchen schrieb mich dann an. Wir schrieben 2 Monate unter dem Fake-Profil, bis sie mich treffen wollte. Ich musste mir ständig Ausreden einfallen lassen, warum wir uns nicht sehen konnten. Also habe ich mich entschlossen, dass Max einen Cousin hat, der Daniel heißt, also mich.
Ich schrieb ihr als Maximilian, dass meine Mutter gestorben sei und es mir nicht gut ginge. Deshalb könne ich sie nicht treffen, aber mein Cousin Daniel hätte Zeit und würde sich mit ihr treffen um alles zu erklären.
Ich traf mich mit ihr und erzählte, dass es Max sehr schlecht ginge, da er die Beerdigung seiner Mutter nicht zahlen könne. So habe ich das unschuldige Mädchen innerhalb von 6 Wochen um 4500€ erleichtert. Sie gab mir das Geld, um die Beerdigung von Maximilians Mutter zu bezahlen.
Immer wieder erzählte ich ihr neue Geschichten, warum sie Maximilian noch nicht treffen könne.“
„Wie lange dauerte es, bis du das Geld verspielt hattest?“
Die 4500 Euro waren nach 6 Wochen verspielt. Immer wenn sie mir Geld gab, war es am selben Tag im Automaten.“
„Flog die Lüge irgendwann auf?“
„Nach 3 Monaten fing sie langsam an zu zweifeln und mir fielen auch keine Ausreden mehr ein, warum sie Maximilian nicht treffen könne. Sie ging zur Polizei und zeigte mich an.“
„Gab es noch mehr solcher Tricks, um an Geld zur Befriedigung deiner Spielsucht zu kommen?“
„Ja, ich hatte mir außerdem einen Account über eBay gemacht, wo ich Handys, Fernseher und sonstiges zum Verkauf anbot. Allerdings nichts davon je besessen habe. Ich hatte zu dem Zeitpunkt keinerlei schlechtes Gewissen mehr.“
„Wie viele Stunden verbrachtest du mittlerweile täglich in den Spielotheken?“
„Ich war 10-12 Stunden täglich in der Spielothek, von 6 Uhr bis 19-20 Uhr. Manchmal auch bis sie schlossen. Meinen Job habe ich dadurch auch verloren, genauso wie meine Wohnung und viele Freunde. Alles und jeder wendete sich von mir ab.
Für mich war nur noch die Spielothek wichtig. Ich habe mir dann immer den Wecker auf 5 Uhr gestellt, damit ich auch ja pünktlich um 6 Uhr in der Spielothek sein konnte, um meine Sucht zu befriedigen, dieses Gefühl, alles vergessen zu können und an nichts schlechtes zu denken.
„Welches Ereignis weckte in dir den Willen endlich etwas zu ändern?“
„Es war Ende Oktober 2016, als mir eine Angestellte der Spielothek kein Geld mehr wechseln wollte. Damals hatte ich um 11 Uhr morgens schon 1200€ in den Automaten gesteckt. Sprich innerhalb von fünf Stunden waren 1200€ weg.“
„Wie hast du nach diesem Erlebnis deiner Spielsucht versucht entgegen zu wirken?“
„Ich beschloss im November 2017 in alle Spielotheken zu gehen und mich selbst sperren zu lassen. Es waren 16 Spielotheken an der Zahl. Für eine Stadt mit 50.000 Einwohner nicht grade wenig. Außerdem suchte ich mir Hilfe und erhielt im Januar 2017 eine Genehmigung von der Rentenkasse, für eine Spielertherapie.
Von da an ging es recht schnell und ich trat meine Therapie an. In der Therapie hatte ich das Gefühl mit meiner Problematik ernst genommen zu werden. Ich habe gut und ehrlich mitgearbeitet, bis ich dort dann Anfang April eine Frau kennen lernte. Ab da hatte ich meine Augen und meinen Kopf nur noch auf sie gerichtet. Für mich stand zu diesem Zeitpunkt fest, dass ich nie wieder in meinem Leben spielen würde. Aber es kam alles anders.“
„Was kam deiner Abstinenz dazwischen?“
„Als ich die Therapie verließ war ich stärker denn je. Ich hatte ein Lebensgefühl, das ich bis dato noch nie hatte und konnte die Liebe dieser Frau annehmen. Dann stellte sich Ende Mai raus, dass sie von mir Schwanger war. Ich hatte sie während der Therapie geschwängert. Eigentlich hatten wir beschlossen das Kind zusammen groß zu ziehen, aber so kam es nicht. Sie hat hinter meinem Rücken abgetrieben. Das war für mich das Schlimmste, was ich je in meinem Leben erlebt habe. Dieses Gefühl kann ich nicht in Worte fassen.
Und so kam es bei mir Anfang Juli zu einem Rückfall, bei dem ich mir durch Lug und Betrug von einem Freund 3000€ geliehen habe, die ich innerhalb von 10 Tagen verspielte.
Dazu muss ich sagen, dass der Freund mich immer in einen anderen Ort gefahren hat. Ich hatte mich bei mir ja überall sperren lassen. Ab da habe ich mir geschworen, das es der letzte Rückfall in meinem Leben mit Spielsucht seien sollte.“
„Was hat sich seit dem für dich geändert?“
„Ich wohne jetzt in einem Betreuten-Wohnen für Suchtkranke und kann sagen, es war die besten Entscheidung in meinem Leben. Ich habe mit jedem Opfer das ich durch meine Spielsucht geschädigt habe, Kontakt aufgenommen, um den Schaden den ich angerichtet habe zurück zu zahlen.“
„Geht es dir besser, seit du in dem Betreuten-Wohnen lebst?“
„Mir geht es viel besser, seit dem ich hier bin. Ich will stark bleiben und mein Sohn gibt mir dafür momentan sehr viel Kraft. Ich muss sagen, in der Zeit der Spielsucht war das Verhältnis zu meinem Sohn sehr schlecht, da ich mich nicht gekümmert habe.
Aber seit dem ich hier im Haus bin und wir hier ein klärendes Gespräch hatten, schläft er jedes Wochenende bei mir und das macht mich unendlich stolz.“
„Hast du noch starken Suchtdruck?“
„In der Zeit in der ich hier bin hatte ich Suchdruck, ja, aber ich halte es jetzt aus dem Drang zu widerstehen, denn ich will nie wieder einen Menschen in meinem Leben verletzten oder schaden. Ich bin froh, dass Familie und Freunde mir verziehen haben.
Allerdings kann ich mir selbst das nicht verzeihen. Deshalb geht es mir momentan psychisch nicht so gut. Mich plagen Schuldgefühle und ich schäme mich zutiefst für das, was ich den Menschen angetan habe.“
„Was hättest du damals anders machen können, um gar nicht erst in die Spielsucht zu geraten?
„Ich hätte mein Bedürfnis nach Liebe eingefordert. Hätte viel früher Gespräche gesucht, um Probleme zu vermeiden. Und ich hätte akzeptiert, dass man nicht jedem Menschen gefallen kann.“
Das könnte Sie auch interessieren: https://blickwinkelmensch.de/geld-macht-nicht-gluecklich-ein-suizid/