Vor einiger Zeit hatte ich bei meinem Urlaub in Porto eine Begegnung, die mich zum Nachdenken brachte. An meinem zweiten Urlaubstag saß ich auf einer Steinreihe, am Rande einer alten Burg und genoss die Sonne. Zwischen dem bunten Treiben der Einheimischen, bei ihren täglichen Besorgungen, und den Touristen, die genau wie ich damit beschäftigt waren Porto zu entdecken, erblickte ich einen blinden Mann, der sich mit seinem Blindenstock in Richtung Burg bewegte. Ihn zu beobachten brachte mich zum Nachdenken. Wie es wohl ist, das Reisen als Blinder?
Er konnte die Stadt nicht so Wahrnehmen wie ich. Sehend. Mir kam ein zweiter Gedanke. Nur weil Menschen die eine Sehbehinderung haben nicht mit ihre Augen sehen können, heißt es nicht, dass sie nicht trotzdem sehen. Ich beschloss der Sache auf den Grund zu gehen und trat mit einigen Sehbehinderten Menschen in Kontakt.
Dabei lernte ich Ali kennen. Er freute sich über meine Anfrage bezüglich eines Interviews, zum Thema und der Aufmerksamkeit, die dadurch den, eher selten in den Vordergrund gerückten Blinden zu gute kommt.
Ali ist von Geburt an vollblind. Der heute 31 jährige arbeitet bei einer Hilfsmittelfimra für Blinde und Sehbehinderte. Er ist dort im Vertrieb tätig, gibt Schulungen, arbeitet im Support und beteiligt sich an Demos, wie er mir erzählt. Würde ich nicht wissen, dass Ali Blind ist, würde ich auch nicht davon ausgehen. Wir führen das Interview schriftlich über Facebook. Ich kann mich nicht erinnern je so schnelle Antworten auf meinen Fragen bekommen zu haben. Noch dazu so fehlerfrei.
„Nach welchen Kriterien suchst du dir deine Reiseziele aus, oder, falls du noch nicht viel gereist bist, wonach würdest du sie dir aussuchen?“
„Hmm. Ich lass mich da eher von sehenden Leuten inspirieren. Also von meiner Freundin z.B. Ich mag es neue Dinge kennenzulernen und mich völlig zu entspannen. Also Meer usw. Und einmal im meinem Leben würde ich gern zu einem Festival.
Also, wenn es kein Festival oder etwas musikalisches ist, dann sollte mein Reiseziel immer warm sein.“
„Also reist du in Begleitung deiner Freundin?“
„Ganz genau“
„Auf welche Art und Weise nimmst du einen neuen, dir unbekannten Ort wahr? Wenn ich eine fremde Stadt besuche, freue ich mich besonders darauf die vielen bekannten und nicht so bekannten Sehenswürdigkeiten zu besuchen. Allerdings habe ich das Glück sie sehen zu können. Ist so etwas auch für dich interessant?“
„Ich bekomme die Umgebung schon mit. Also die Menschen, die Geräusche, den Klang, die Luft, Gerüche usw. Neben den Sehenswürdigkeiten freue ich mich eher auf die Menschen dort. Also auf die Kulturen. Wie leben sie, wie sind ihre Lebensarten, usw. Bei dem Wahrnehmen der Sehenswürdigkeiten kommt es drauf an, ob man sie anfassen kann oder nicht. Und was es ist. Meist lass ich es mir beschrieben und das reicht mir dann auch.
Aber je nach dem was es ist, will ich es genauer wissen und manchmal reicht es mir hingegen schon, wenn man mir die Form beschreibt. Es kommt ja auch immer darauf an, was genau beschrieben werden soll. Einzig mit Farben kann ich nichts anfangen.“
„Du sagst du magst es, die Leute im Urlaub kennenzulernen. Ich kann mir aussuchen wer schon vom Weiten sympathisch aussieht, das bleibt dir leider verwehrt. Wie kommst du also im Urlaub mit Fremden in Kontakt?“
„Das ist in der Tat schon etwas schwierig. Zumal ich ja, wenn ich Unterwegs bin, nicht allein bin. Aber wenn ich dann mal Unterhaltungen anfange, sofern möglich, dann immer draußen, wenn ich auf etwas warte, ich in der Schlange stehe, im Reisemittel usw. Also wie Zuhause im Alltag auch. Einfach wenn es sich ergibt, wenn ich mal Hilfe bekomme von Leuten oder wenn man in einem Restaurant ist (allerdings im Freien) und vom Tisch etwas mitbekommt, was einen selbst betrifft, oder so. Manchmal sprechen mich die Leute auch von allein an und zeigen sich interessiert. Das freut mich dann auch .Oder wenn man Mal draußen sitzt und isst, also beim Picknicken oder so.“
„Kannst du dir denn vorstellen auch mal alleine zu verreisen? Falls ja, welche Schwierigkeiten könnte das mit sich bringen?“
„Also ganz alleine würde ich mich persönlich nicht in ein anderes Land trauen. Vielleicht würde ich es mir zutrauen, wenn wir zu zweit sind, also zwei Blinde. Aber ich wäre schon ratlos, wenn wir am Ziel angekommen sind. Also so zu sagen: „Jetzt sind wir am Hotel, was nun?“ Die Hotelbediensteten können ja auch nur bedingt helfen. Ich könnte mich natürlich auch an die Gäste dort heften, je nach dem was sie vor haben. Wäre mal eine spannende Erfahrung, wenn ich mir das so durch den Kopf gehen lasse.“
„Ist es für deine Freundin manchmal beim Reisen ein Problem, dass du auf sie angewiesenen bist?“
„Wir kommen eigentlich immer gut zu recht. Sie findet es dann eher schade, wenn ich irgendwo nicht mit hin komme oder ich nur hingehe, um ihr einen Gefallen zu tun. Sagen wir, wir kommen zu 99% klar. Aber wir hatten nie das Problem, dass sie das Führen bzw. Begleiten als anstrengend oder Pflicht wahrgenommen hat. Sie ist schon eine Tolle, sonst wäre ich ja nicht mit ihr zusammen. Aber klar streitet man sich auch, das hat dann aber nichts mit dem Reisen und der Hilfe, die ich ab und an benötige, zu tun.“
„Woran machst du denn fest, ob dir ein Ort oder ein Land besonders gut gefallen hat?“
„Puh… Als wenig Reisender kann ich dir das gar nicht so leicht beantworten. Es kommt darauf an wie viel Spaß ich hatte oder ob es eher langweilig war.
Was genau mir Spaß macht ist für gewöhnlich sehr unterschiedlich und muss nichts Bestimmtes sein.
Für mich ist es einfach sehr wichtig, dass rundherum alles stimmt. Das Wetter, die Stimmung, also wie gut die Leute gelaunt sind, usw. Ich nehme das alles im Großen und Ganzen. Ich achte auf nichts Bestimmtes.“
„Macht es denn einen bedeutenden unterschied, ob du vereis, oder einfach in deiner Heimat raus gehst?“
„Klar. Neue Leute, etwas anderes machen. Für mich ist es wichtig, dass sich im Urlaub nichts wiederholt. Oder, wenn es sich wiederholt, dann nicht zu oft. Etwas Neues entdedecken finde ich super. Hier Zuhause würde ich ja alles kennen.
Was ich gern mache ist z.B an einem lauen Sommerabend draußen sitzen und Tee trinken, in verschiedenen Teestuben, die es ja z. B in der Türkei gibt. Und sich dann mit den Leuten unterhalten. Das wird nie langweilig, denn man lernt die Leute kennen. Und irgendwann macht man das selbe, nur anderswo.“
„Was denkst du, welche Probleme entstehen könnten, wenn du auf ein Festival gehen würdest?“
„Das ich verloren gehen würde. Ich habe mir aber schon von einigen Blinden sagen lassen, dass z.B die Niederländer sehr hilfsbereit sind. Und gerade bei Festivals wird geholfen, da ist man wie eine Familie. Das ist ja das faszinierende daran.“
„Stellt die Lautstärke kein Problem da, oder die viel zu betrunkenen Menschen, die froh sind wenn sie es noch ins eigene Zelt schaffen?“
„Ja, die Musik kann ein Problem sein, aber wozu gibt es Menschen, die man fragen kann, ob sie einem helfen? Da bin ich frei und spreche die Leute einfach an. Die Lautstärke muss ja sein.“
„Bemerkenswert wie leicht du damit umgehst. Vielen ist es dann ja doch unangenehm, Hilfe von Anderen anzunehmen oder gar einzufordern.“
„Nö, für mich nicht. Ich finde es nur unangenehm, wenn die Leute unheimlich werden. Dann denk ich mir schon so: „Oh Gott… Aus all diesen Leuten, warum hast du ausgerechnet DEN gefragt? Aber da steckt man ja auch nicht drin. Ansonsten immer gern.“
„Wo warst du denn bisher schon, und wo würdest du gerne noch hin reisen?“
„Ich war bisher in der Türkei (eigentlich fast nur), in Florida und den Niederlanden. Da würde ich mich einfach überraschen lassen. Wie gesagt, ich lass mich da eher von anderen Leuten begeistern und inspirieren.“
„Wenn du dich an einen Ort erinnerst, an was genau denkst du dann?“
„Wenn ich z.B an die Türkei denke, kommen mir neben meinen Verwandten, auch die aufgeschlossenen Leute, das nächtliche Grillen, das Tee trinken usw. in den Sinn. Und, komischerweise, der Geruch unserer Wohnung.“
„Hast du auf Reisen Bekanntschaften gemacht, mit denen du auch weiterhin Kontakt pflegst, oder sogar mal einen anderen blinden Reisenden kennengelernt, wenn du unterwegs warst?“
„Ich schließe immer wieder mal Kontakte, egal ob hier oder im Urlaub. Aber ich habe bisher niemanden als Kontakt, den ich im Urlaub kennengelernt habe. Außer, wenn man die Reisen innerhalb Deutschlands einbezieht. Da habe ich schon einige Kontakte in Zügen geknüpft und halte diese auch jetzt noch.“
„Wie sieht Florida für dich aus? Könntest du einem Menschen, der noch nicht da war, beschrieben was ihn erwartet?“
„Oh Gott, so etwas könnte ich gar nicht. Ich habe nur Gerüche und Geräusche usw. im Kopf. Und halt das Erlebte. Ich weiß nur, dass die Amis sehr aufgeschlossen und sehr locker drauf waren. So etwas kannte ich von Zuhause z.B nicht.“
„Gibt es etwas was du noch ergänzen würdest?“
„Ich würde gern viel mehr Reisen, bin aber leider noch nicht so fit. Aber wir wollen das bald in Angriff nehmen.“
„Danke für deine Zeit!“
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