Schon vor einiger Zeit habe ich mich mit zwei unglaublich tollen Menschen unterhalten, die mir von ihren Reisen als Menschen mit Sehbehinderung erzählt haben. Beide fühlten sich sehr viel sicherer wenn sie in Begleitung unterwegs waren. Anders Christian Ohrens, den ich für den letzten Teil der Interviewreihe zum Thema Reisen als Blinder befragt habe. Im Gegensatz zu Ali und Lydia betont er deutlich wie viel schöner das Reisen für ihn ist, wenn er alleine unterwegs ist.
„In welche Länder und Städte bist du bisher gereist und welche Reise ist dir besonders im Gedächtnis geblieben?“
„Also allein verreist bin ich bislang nach Prag, Budapest, Oslo, Stockholm, Kopenhagen (die drei als Kombi in 10 tagen), Luxemburg (Tagesausflug), Yekaterinburg (Russland).
Die für mich bislang tollste Reise war die Rundreise durch Skandinavien. Also Oslo, Stockholm und Kopenhagen . Es war die erste wirklich längere Reise, die ich allein unternommen habe, aber auch die, die mich irgendwie am meisten beeindruckt hat – sei es von den gesammelten Erfahrungen, den Erlebnissen oder den Leuten, denen ich in diesen zehn Tagen begegnet bin.“
„Welche Probleme ergeben sich für dich wenn du alleine vereist? Und wie reist du am liebsten?“
„Hach ja, immer diese Fragen nach den „Problemen“. Probleme sind nur da, wenn man sie auch sucht, ansonsten gibt es nur Lösungen.
Ich könnte jetzt sagen, es gibt z.B sprachliche Probleme oder Barrieren, aber mit Geduld, ggf. einem Translator auf dem Smartphone etc. lassen sich auch solche Kleinigkeiten beseitigen. Mit einer sehenden Begleitung mag das Reisen entspannter sein, aber ich finde das alleine Reisen birgt mehr Abenteuer mit sich. Das, was einem beim Reisen in Begleitung oder in Gruppen kaum geboten wird, ist der Umgang, der Kontakt mit den Menschen vor Ort. Reist du in Begleitung, gibt es gar nicht die Notwendigkeit mit anderen in Kontakt zu treten. Klar fragt man auch in der Gruppe nach dem Weg, aber man kommt nicht so leicht ins Gespräch, als wenn man alleine Reisen würde – so meine Erfahrung zumindest.“
„Wie nimmst du eine Stadt oder einen Ort wahr und was ist dir besonders wichtig wenn du dir die Umgebung ansiehst?“
„Atmosphäre ist etwas, das sich nur schwer in Worte fassen lässt. Das können Geräusche, Gerüche, aber auch die Menschen sein, die einem unterwegs begegnen.Was mir total unwichtig ist, sind so Dinge wie, ob es bestimmte Hilfs- oder Leitsysteme für blinde gibt, Ob es Blindenampeln gibt oder dergleichen. Ich finde es „albern“, seine Ortswahl bei einer geplanten Reise von solchen Faktoren abhängig zu machen. Denn im Grunde interessiert man sich ja für das Land bzw. die Stadt und nicht, ob es dort irgendwie barrierefreie Angebote gibt.“
„Wie musst du deine Reises planen um dich zurecht zu finden?“
„Wenn die Reisen in einem Planungs- und Organisationsakt enden, vergeht mir die Lust. Im Grunde lässt sich das ganz klar zusammenfassen:
1 Sich über das Reiseziel im klaren werden, z.B auch mit Hilfe von Portalen wie Wikitravel, wo man schon gute Länder- und Städteinfos bekommt.
2 Hotel bzw. Jugendherberge suchen. Ich griff bislang sehr gern eher auf Jugendherbergen zurück. Die sind in der Regel etwas offener und eher auf Rucksack- und Individualtouristen eingestellt als diese Lowbudget- und Tagungshotels.. Zug oder Flug buchen Hinfahren bzw. Fliegen
3 Vor Ort eine Stadtführung mitmachen. Je länger umso besser. Während der Tour bekommt man erste Infos über die Stadt, die Umgebung, über eventuelle Aktivitäten oder Sehenswürdigkeiten und man hat einen ersten Ansprechpartner für weitere Tipps und Empfehlungen an der Hand.
Alles andere ergibt sich. Du siehst, ich organisiere meine Reisen eher pragmatisch und nutze die „normalen“ Infowege und Portale, die ein Sehender auch nutzen würde. Spezifische Blindenangebote etc. lasse ich ganz außen vor.“
„Wie kommst du mit den Menschen vor Ort in Kontakt? Ich meine ich kann die fremden Menschen sehen und beurteilen ob ich sie anspreche, weil sie sympathisch auf mich wirken, wie machst du das?“
„Und genau hier liegt der Knackpunkt. Du wählst sie vorher aus, ich nicht. Schätzungsweise 50% der Menschen, die ich schon angesprochen und um Hilfe gebeten habe, würde der Sehende gar nicht erst ansprechen – aus welchem Grund auch immer. Und da ich totaler Stadtmensch bin und Städtetrips liebe, findet sich hier immer jemand, den man fragen kann. Es ist doch – sorry – scheißegal, ob jemand zerlumpt herumläuft, welche Frisur er trägt, welcher Nationalität er angehört, welche Hautfarbe er hat, oder ob er gerade böse schaut (wir können nicht in ihn hineinschauen). Wir wollen doch nur eine Auskunft und ihn nicht heiraten. Aber die meisten Sehenden verhalten sich genau so, als ginge es darum, den anzusprechenden näher kennenlernen zu müssen. Und am Ende stellt sich ja – auch bei euch sehenden – sehr häufig heraus, dass der erste Schein und Eindruck auch täuschen kann.“
„Hast du damit denn je schlechte Erfahrungen gemacht?“
„Anders herum. Selbst wenn du vorher angeblich überlegt auswählst und fragst, kannst du am Ende reinfallen. Was soll denn passieren? Eine falsche Auskunft oder eine dumme Antwort kann man immer bekommen. Wenn wir vorher schon immer nach dem Ende fragen, wo wir noch nicht einmal den Anfang gewagt haben, brauchen wir gar nicht erst auf die Straße zu gehen. In meinem Blog gibt es zu dem Thema Leute ansprechen auch einen Artikel.“
„Wie würdest du denn jemandem , der dir sagt, dass auch er eine Rundreise durch Skandinavien machen möchte, die Länder in denen du warst beschrieben – ungeachtet dessen, ob es eine sehende Person ist, oder nicht?“
„Naja, ich war ja nur in drei Städten in drei Ländern, Das ist nur ein Bruchteil von dem, was diese Länder womöglich auszeichnen könnte. Ich empfand z.B Kopenhagen als sehr pulsierende, lebhafte Stadt, aber auch als sehr kontrastreiche Stadt – allein durch den Vergnügungspark inmitten des Zentrums, welcher ja auch durch seine großzügig angelegten Gartenanlagen zum verweilen und ausruhen einlädt. Hingegen sind Oslo oder Stockholm zwar auch schön, aber von der Atmosphäre her eher entspannter, fand ich.
Die Leute in allen drei Ländern scheinen jedoch um einiges lockerer und offener zu sein, was Menschen mit Handikap anbelangt. Leben und Leben lassen, lautet hier wohl die Devise. Bedeutet, ich greife nicht einfach ein, wenn ich der Meinung bin, dass der andere etwas nicht kann bzw. etwas braucht. Ich helfe, wenn man mich fragt, dann aber kommt die Hilfe auch vom Herzen und nicht nur, weil der Anstand es so gebietet.
Dadurch, dass sich Dänen, Schweden und Norweger auch nicht an so unnötigen Höflichkeitsfloskeln und Regeln wie dem duzen oder siezen aufhalten, ist der Umgang miteinander – zumindest für den Außenstehenden – auch in gewisser Weise lockerer, oder sagen wir lieber einfacher.“
„Gibt dir das Reisen ein Gefühl, dass du anders nicht erzeugen könntest?“
„Das allein Reisen auf jeden Fall. Es ist Abenteuer, das Ungewisse und Unbekannte zu erkunden. Es ist ein an die Grenzen gehen und vielleicht auch Selbige ausreizen. Und dann natürlich eine gehörige Portion Neugier auf das Land, die Stadt, die Menschen vor Ort, das Stückchen Kultur, das man in der Kürze der Zeit mitbekommen kann etc.“
„Wenn dir sehende Menschen erzählen wie ihr Urlaub war und was sie gesehen haben, kannst du das dann mit deinen eigenen Erfahrungen vergleichen?“
„Ja natürlich. Denn Sonne, Sand, Strand und Wasser ist für jeden gleich. Du spürst sie und am Ende ist egal wie das Meer aussieht. Das Pulsieren einer Metropole, die engen Gassen einer Altstadt, das Essen, ein hoher Turm, den man bestiegen hat, Das Alles sind doch Dinge die, egal ob blind oder sehend, sich durchaus teilen lassen. Übrigens: Das geht ja auch anders herum, wenn auch in etwas abstrakter Form.
Beim Reisen entwickelte ich in den letzten Jahren auch das Hobby des Fotografierens. So kann ich Sehenden bildlich zeigen wo ich war und vielleicht auch ein Stück weit, was ich erlebt habe. Etwas, was sich, auf dem ersten Blick, scheinbar ausschließt. Denn man filmt und fotografiert ja schließlich etwas, das einen (visuell) anspricht, beeindruckt, überzeugt. Doch ist dem wirklich so?“
„Ist es dir schon passiert, dass du darauf angesprochen wurdest, als Blinder zu fotografieren?“
„Ja, aber nicht auf meinen Reisen, sondern hier in Deutschland. Es ging so gar so weit, dass Leute kamen, mir die Kamera aus der Hand nehmen und das Foto für mich aufnehmen wollten – ungefragt natürlich! Hierzulande musst du auch alles gleich erklären. Es gibt zwei Arten des WARUMS. Einmal das interessierte WARUM, auf der anderen Seite das entgeisterte WARUM, wie in „warum tust du das! – du brauchst das doch nicht, bzw. hast doch nichts davon.“
Woanders ist man schon interessiert, fragt auch nach, aber ist dabei eher konstruktiver. Und wenn es nicht die Entgeisterung ist, so kann es auch sein, dass man belächelt wird – aber das ist ja oft so bei Leuten, die einfach Dinge nicht für sich begreifen oder akzeptieren können.
Aber von den Negativbeispielen darf man sich nicht abschrecken lassen – einfach weitermachen.“
„Wie gehst du mit Menschen um die dir ungefragt einfach mal die Kamera wegnehmen und dich somit versuchen zu bevormunden?“
„In Deutschland wirst doch an vielen Stellen bevormundet! Wir tun alles für die bauliche Barrierefreiheit, aber die Barrieren im Kopf lassen sich hingegen nur schwer abbauen. So oft wissen andere besser, was wir können, dürfen bzw. wozu wir in der Lage sind. Das fängt z.B. bei der Nutzung von Freizeitparks als Blinder (vor allem ohne Begleitung) an – aber das ist schon ein sehr spezielles Beispiel. Fangen wir kleiner an: Wieso muss ich als Blinder immer automatisch die Rolltreppe nehmen wollen? Statt das die Leute mich fragen, passiert es schon mal, dass Menschen einen ungefragt bei Seite, auf die Rolltreppe ziehen wollen weil sie sich nicht vorstellen können, dass ich freiwillig die richtige Treppe nutze.“
„Du hast von dem Freizeitpark in Kopenhagen erzählt. Auf deiner Seite konnte ich sehen, dass du schon sehr viele Parks auf ihre Blindenfreundlichkeit getestet hast, gibt es da einen gravierenden unterschied in Deutschland zu anderen Ländern?“
„Ja, es scheint einen Unterschied zu geben. Scheinbar geht man in Großbritannien, Holland oder halt Dänemark etwas anders mit dieser Problematik um. Aber auch auf hiesigen Kirmesplätzen. Ein Kirmesfahrgeschäft kannst du problemlos nutzen, Eine Achterbahn in einem Freizeitpark jedoch nicht. Das ist abstrus.“
„Was heißt woanders geht man mit der Problematik anders um?“
„Wir Deutschen suchen meist nach dem Problem, nie nach der Lösung. Außerdem haben wir einen riesigen Hang zur Sicherheit. 100% reichen uns nicht. Wir müssen für alle Eventualitäten gewappnet sein, es könnte ja mal was passieren. Klar wurde ich in Holland auch nach einer sehenden Begleitung gefragt, aber es war überhaupt kein Problem, dass diese nicht da war.
Hierzulande wirst du als Rollifahrer kaum eine Achterbahn nutzen können. In dem getesteten Park in Holland gab es an jeder Bahn einen Treppenlift. Nur mal so als Beispiel. Das ist zwar kein direkter Vergleich. aber du kannst das ja auch deutlich beim aktuellen Wahlergebnis sehen: Alle Welt würde sich am liebsten verkriechen, vor Angst, dass „sowas wie 33“ noch mal passieren könnte. In den sozialen Medien wird Panik ohne ende geschoben, Leuten, die die AfD gewählt haben, wurde die Facebook-freundschaft gekündigt o. ä., anstatt sich aktiv mit dem „Problem“, mit der Situation auseinanderzusetzen und mal genauer zu hinterfragen, wieso, weshalb, warum? Wir müssen mit der Situation jetzt nun einmal umgehen lernen. Sprich: wir sehen nur das „Problem AfD“, aber nicht die Lösung, wie wir trotzdem stark bleiben können.“
„Was würdest du ergänzen wenn es um das Thema Reisen als Blinder geht?“
„Ich habe bislang wenig Blinde getroffen die alleine Reisen, vor allem solche, die eine Reise genau so anpacken würden wie ich. Viele gehen hier lieber auf Nummer sicher, planen akribisch vorweg, oder greifen auf Spezialangebote zurück – sofern sie überhaupt allein Reisen würden. Das ist ja auch schon für viele Sehende ein rotes Tuch.
Wenn ihr mehr über Christian erfahren möchtet könnt ihr hier seine Seite finden: http://christian-ohrens.de/wordpress/
- Blind auf Reisen
- Christian Ohrens auf Reisen
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