Im Zuge meiner Suche nach sehbehinderten Menschen, die mit mir über das Thema Reisen als Blinder sprechen, bin ich auf den Blog von Lydia gestoßen. Hier beschreibt sie unter anderem, wie es ist als blinder Mensch Bus zu fahren und welche Probleme das mit sich bringen kann.
Lydia lebt mit ihrem Mann, der ebenfalls Sehbehindert ist, und ihre zwei Kindern, die, wie sie sagt „Normal sehen“ können, zusammen. Sie macht einen sehr selbstsicheren Eindruck auf mich und auch ein kurzes Telefonat, das wir führen, unterstreicht diesen Eindruck noch einmal. Ihre klare, aufgeweckte Stimme ist unheimlich angenehm und motiviert mich auf eine angenehme Art und Weise. Ich habe direkt noch mehr Interesse an ihr und dem, was sie mir zu erzählen hat.
„Wie viel Sehkraft hast du noch?“
„Ich sehe noch ca. 2 %. In meinem Fall heißt das, dass ich grobe Umrisse oder Gegenstände sehen kann, jedoch keine Details. Wenn ich unterwegs bin, orientiere ich mich grob durch den Sehrest, die Feinarbeit mache ich mit dem Blindenstock. Wobei das von den Lichtverhältnissen abhängig ist. Scheint die Sonne, dann sehe ich noch weniger als an wolkigen Tagen.“
„Wohin bist du in deinem Leben schon gereist?“
„Ich war einige Male in Jordanien, einmal auf Teneriffa oder Ägypten. Das sind die Ziele, die mir auf die Schnelle einfallen. Ansonsten war ich auch viel innerhalb von Deutschland unterwegs.“
„Bist du bisher alleine gereist, oder hattest du eine Begleitung?“
„Das war völlig unterschiedlich. Innerhalb von Deutschland war ich viel alleine unterwegs. Im Ausland hatte ich Begleitung. Denn da macht es am meisten Spaß. Erst recht, da mir die Gegenden im Ausland nicht vertraut sind. Hier fühlt es sich für mich besser an, wenn ich sehende Mitreisende habe.“
„Wie nimmst du einen neuen Ort wahr?“
„Nun, ich nehme einen Ort mit allen mir zur Verfügung stehenden Sinnen wahr. Jeder Ort hat seine Akustik, seinen Geruch, seine Atmosphäre. Und wenn mir dann noch jemand ein bisschen was beschreibt oder meine Fragen beantwortet, dann reicht mir das an Input.“
„Was ist für dich das Besondere am Reisen?“
„Das Reisen ist für mich mal was anderes. Der sogenannte Tapetenwechsel und das Rauskommen aus dem Alltag gepaart mit neuen Erlebnissen.“
„Gibt dir das Reisen ein Gefühl, dass du anders nicht erzeugen könntest?“
„Ich denke, dass es hier keinen nennenswerten Unterschied zwischen blinden und normal sehenden Reisenden gibt. Man kann sich Filme über seine Reiseziele ansehen, Bücher darüber lesen, oder was auch immer. Live dabei sein ist noch mal was ganz anderes.“
„Wenn dir sehende Menschen erzählen, wie ihr Urlaub war und was sie gesehen haben, kannst du das dann mit deinen eigenen Erfahrungen vergleichen, oder nimmst du einen Ort völlig anders wahr, aufgrund dessen, dass du dir eine Sehenswürdigkeit eben nicht einfach nur angucken kannst?“
„Gut, das Sehen fällt bei mir als Informationsquelle weg. Allerdings haben wir Menschen noch andere Quellen der Wahrnehmung. Die Akustik einer Kirche oder Burg kann man hören, das Meer ebenfalls. Man kann eine Skulptur betasten oder eine Straße mit all ihren Geschäften riechen. Und wenn ich nicht weiß was vor mir ist, kann ich auch eine sehende Person fragen.“
„Hast du manchmal das Gefühl etwas von der Welt zu verpassen, weil du sie nicht sehen kannst?“
„Ich glaube nicht, dass ich viel vermisse. Ich kann zwar nicht sehen, habe dafür aberandere Sinne, die mit mir trainiert wurden, und die dadurch vieles kompensieren können.“
„Fällt es dir leicht, auf Reisen, fremde Menschen kennen zulernen und nach welchen Kriterien suchst du dir diese aus?“
„Menschen haben mehrere Eigenschaften. Eine davon ist das Aussehen und der erste Eindruck. Wenn sie sprechen, kann ich mir einen Eindruck machen. Tja, und jeder Mensch hat eine bestimmte Art zu sprechen.“
„Nimmst du gern Hilfe von anderen an und lässt dir etwas beschrieben, oder erkundest du lieber alles selber, auch wenn es dann vielleicht etwas länger dauert?“
„Das kommt ganz auf meine Tagesform und auf die Menschen in meiner Nähe an. Wenn ich das Gefühl habe, dass mein Gegenüber vor Mitleid zerfließt, dann verzichte ich gern auf dessen Hilfe. Diese nehme ich am liebsten an, wenn ich mit meinem Gegenüber auf Augenhöhe kommunizieren kann. Außerdem bereite ich Reisen ganz anders vor. Wenn ich alleine unterwegs bin, kläre ich vor der Reise ab was ich vor Ort brauche und wie ich es bekommen kann. Das fühlt sich für mich besser an.
Vor ein paar Jahren war ich alleine mit meinen Kindern in Ägypten. Wir hatten uns in einer Hotelanlage eingemietet, wo wir uns nicht mehr um die Verpflegung kümmern mussten. Und da ich nicht wollte, dass meine Kinder sozusagen die Betreuung für mich spielen, habe ich mir überlegt welche Unterstützung ich brauche. Diese Liste habe ich dann per E-Mail an das Hotel geschickt und gefragt was davon umsetzbar ist. Und so hatte ich einen festen Ansprechpartner an der Hotelrezeption. Und auch die Hilfe bei den Mahlzeiten klappte gut. Ich bekam von einem Mitarbeiter das Büfett erklärt und das Essen an den Tisch gebracht.
Wichtig ist hier, dass man seine Wünsche und Bedürfnisse klar formuliert. Denn letztendlich bin ich die Expertin für meine Behinderung. Und so sehe ich es auch als meinen Job an nach den Dingen zu fragen, die ich benötige. Denn ich kann nicht erwarten, dass mein Gegenüber meine Gedanken lesen kann.“
„Danke Lydia.“
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