Sandra* ist 30 Jahre alt, arbeitet als Industriekauffrau und ist verheiratet. Eine Ehe so wie ihre Freundinnen sie führen, kennt sie allerdings nicht. Ihr Mann ist bipolar und schwankt deshalb zwischen normalen, depressiven und manischen Phasen.
Besonders die manischen Phasen können dafür sorgen, dass das Leben des Betroffenen und seiner Angehörigen, danach in Trümmern liegt.
Wie es dazu gekommen ist, dass Sandra und ihr Mann trotz aller Komplikationen geheiratet haben und wie es für sie als Angehörige ist, wenn sie keinerlei Zugang mehr zu ihrem Mann findet und zum Feind wird, hat sie uns erzählt.
„Wie hast du deinen Mann kennengelernt?“
„Da wir auf die selbe Berufsschule gingen haben uns vor 9.5 Jahren über SchülerVz kennen gelernt. Schon beim ersten Treffen haben wir uns super verstanden.“
„Wie hat es sich das erste Mal geäußert, dass dein Mann Bipolar ist?“
„Im Herbst 2016, wir waren bereits 8 Jahre zusammen zu diesem Zeitpunkt, bemerkte ich, dass er oft nachts nicht schlafen konnte. Er war nach 2-3 Stunden wieder wach, war rastlos. Ich bin morgens aufgestanden, da war er schon wach und drehte richtig auf. Jeder wäre müde gewesen, aber er hüpfte wie ein kleines Kind durchs Wohnzimmer, war voller Energie.
Er drehte die Musik lauft auf und feierte sich selber. Das ging dann täglich so, stundenlang. Irgendwann fuhr er los und kaufte sich spontan ein Auto von dem Geld, dass er nicht hatte. Plötzlich hatte er Geschäftsideen, die keinen Sinn machten und war in irgendeinem Wahn gefangen.
Seine Geschichten machten keinen Sinn mehr. Er glaubte irgendwann, dass er abgehört und verfolgt wird, weil er so erfolgreich sei. Glücklicherweise hat er damals begriffen, dass er in eine Klinik muss.
Er steckte völlig in einer Manie. Die Klinik brach er allerdings nach 2 Wochen wieder ab. Trotzdem veränderte er sich danach wieder zu dem Menschen den ich kannte.“
„Was war denn deine Vermutung, warum er sich plötzlich so verhielt. Du wirst wahrscheinlich nicht drüber nachgedacht haben, dass er evtl. Bipolar ist, oder?“
„Ich war völlig ratlos und habe erst die Welt nicht mehr verstanden und dann tatsächlich geoogelt. Als ich dann einige Artikel darüber gelesen hatte, was Bipolar bedeutet und dass es oft vererbt wird, habe ich seine Mutter gefragt und sie sagte mir, dass es sein kann, dass der Vater ihm das vererbt hat.
Sie war es auch die ihn dann dazu gebracht hat eine Psychologin aufzusuchen. Diese stellte dann fest, dass er Bipolar ist.“
„Folgte nach der ersten Manie nicht wie bei so vielen anderen eine Depressive-Phase?“
„Die depressive Phase macht sich bei ihm zum Glück nicht so deutlich bemerkbar wie die Manische. Depressiv ist er meist nur 1-2 Wochen. In der Zeit redet er kaum, liegt auf der Couch und hat viele Selbstzweifel. Ich versuche dann immer ihn aufzubauen.
Tatsächlich war er dafür so gar dankbar. Wenn er jedoch manisch ist, dann hasst er mich. Da werde ich durchgehend beschimpft, für alles was ich mache. Automatisch bin ich an seiner Lage schuld und behandle ihn seiner Ansicht nach schlecht.
Er ist launisch und aggressiv, ich der Staatsfeind Nr. 1.“
„Wie oft kommen die Phasen vor?und wie oft ist er der Mann, den du damals kennengelernt hast?“
„Im Jahr 2016 war er von Januar bis September völlig normal. Von September bis Ende Oktober hatte er die stark manische Phase. Depressiv war dann nur eine kurze Zeit, direkt nach der manischen Phase. Danach war er wieder völlig normal bis November letzten Jahres.
Er sagt mir bereits im Oktober, dass er merken würde, dass es ihm nicht gut geht. Daraufhin ist er zum Arzt und hat sich Tabletten verschreiben lassen. Leider hat er die nicht durchgehend genommen.
Da er sich von mir schlecht verstanden fühlte, suchte er bei Freunden Hilfe. Diese Freunde waren auch in der Klinik und haben ihm eingeredet, dass er nicht manisch ist und völlig gesund sei.“
„Ging es ihm denn schlecht in der Zeit der Manie?“
„Die Anfangsphase machte ihn nervös. Dieses rastlose und der Schlafmangel machten ihm zu schaffen, da er noch Vollzeit arbeiten musste. Mitten am Tag wurde er müde, fühlte sich aber innerlich angetrieben.
Dann hörte er auf zur Arbeit zu gehen und ließ sich krank schreiben.
Von da an zog er nachts mit seinen Freunden um die Häuser und kam erst früh morgens zurück nach Hause. Er fühlte sich unberechenbar und dachte, dass er ein großer Geschäftsmann sei. Man könnte also nicht grade sagen, dass er sich schlecht gefühlt hätte.“
„Was sind das für Freunde, mit denen er um die Häuser zog?“
„Es sind keine richtigen Freunde, eher Bekannte. Sie haben alle keinen Job, keine Frau. Ihr Alltag besteht aus Drogen, feiern und schlafen.“
„Nimmt dein Mann auch Drogen?“
„Er hatte nie etwas mit Drogen zu tun, aber diese „Freunde“ haben ihm geraten auch damit anzufangen. Sie Versprachen ihm, dass er sich damit besser fühlen würde.“
„Wie ist es für dich, wenn er in einer Manie steckt und du wieder daran erinnert wirst, dass dein Mann eben bipolar ist und wohl nie ganz gesund sein wird?“
„Mein Leben ist wie auf Pause gestellt. Ich gehe arbeiten und meine Gedanken sind bei ihm. Ich versuche ihm zu helfen aber er nimmt nichts an. Ich leider sehr darunter und merke wie ich ihn immer mehr verliere. Es ist für mich kaum zu ertragen.
Wenn er Marihuana raucht ist er zumindest ruhig und „pflegeleicht“, aber die härteren Sachen legen alles in seinem Kopf lahm.
Da wird er aggressiv und droht mir, möchte z.B die Wohnung anzünden und greift mich an. Gestern Abend habe ich ihn das letzte Mal gesehen. Seit dem haben wir keinen Kontakt mehr.“
„Wo ist er nun in der Zwischenzeit und was kannst du tun um dich selber zu schützen?“
„Er darf polizeilich 10 Tage nicht in unsere gemeinsame Wohnung. Seine „Freunde“ haben keinen Platz oder wollen ihn einfach nicht aufnehmen. Seine Mutter, zu der er eigentlich kein gutes Verhältnis hat, hat ihn aber wohl draußen eingesammelt und zu sich geholt.
Leider weiß ich nicht wie ich mich schützen soll. Ich versuche mir immer zu sagen, dass er krank ist und es nicht so meint.
Aber jedes Herz kann nur bis zu einem gewissen Punkt etwas ertragen. Wenn er gemein ist, mich beleidigt und mich als Feind sieht, versuche ich emotional abzublocken.
Ich höre ihn reden aber denke an was anderes. Diskussionen bringen nichts und kosten zu viel Kraft. Oftmals ertrage ich es einfach, bis er mich in Ruhe lässt.“
„Hast du schon mal darüber nachgedacht dich zu trennen, weil er bipolar ist?“
„Es ist schwer. Wir sind 9.5 Jahre zusammen und seit dem Sommer verheiratet. Ich kenne ihn einfach auch anders . Und manchmal hat er auch während seiner Phasen helle Momente, wie ich es nenne. Dann sagt er nette Sachen und sagt mir, dass es nur eine Phase ist.
Aber dann schaltet wieder ein Schalter um und alles ist wieder anders. Ich habe das Gefühl, dass eine Trennung uns beiden nicht gut tun würde.“
„Wie denkst du, wie es mit euch weitergehen muss, damit du dich damit arrangieren kannst, das er Bipolar ist?“
„Ich wäre offen ihm weiterhin zu helfen. Derzeit versucht seine Mutter ihm klar zu machen, dass er Hilfe benötigt und seine Tabletten nehmen muss. Es ist schwer sein Leben so kaputt mache zu lassen und am Ende doch weiterhin zueinander zu stehen.
Aber so ist das eben. Wie in guten so in schlechten Zeiten. Wenn ich diese Krankheit hätte würde ich auch wollen, dass er für mich da ist – bedingungslos. Ich hoffe, das er den Kontakt zu seinem schlechten Umfeld abbricht und er sich professionelle Hilfe sucht.“
„Ist das was ihr derzeit habt denn überhaupt noch wie eine Beziehung, gibt es Momente wo es sich trotz einer manischen Episode noch so anfühlt?“
„Es gibt tatsächlich normale Momente. Wir haben z.B. vor 2 Tagen zusammen gekocht und er hat mich oft in den Arm genommen, viel mit mir geredet. Wenn wir nicht zusammen Zuhause waren dann hatten wir Kontakt und haben uns nette Sachen geschrieben. So wie in der Zeit als es ihm gut ging.“
„Denkst du, wenn er sich nicht behandeln lässt, geht es für euch trotzdem weiter? Ich meine man würde jemanden, der plötzlich im Rollstuhl sitzt, ja auch nicht leichtfertig und ohne schlechtes Gewissen verlassen.“
„Das ist für mich das schwere. Ich sehe das es eine Krankheit ist. Hätte er Krebs würde ich dann gehen? Nein! Warum sollte ich dann jetzt gehen. Allerdings verstehe ich nicht warum er keine Hilfe zulässt.
Wenn jemand im Rollstuhl sitzt würde er jede Hilfe annehmen um wieder laufen zu können. Und diese Hilfe verweigert mein Mann.
Ich habe die Hoffnung dass er es dennoch bald versucht . Das er merkt, dass seine Freunde ihn nicht aufnehmen, obwohl er kein Zuhause hat. Das er mich verletzt hat und es so nicht weiter geht. Ich gebe die Hoffnung nicht auf, gebe ihn nicht auf.“
Foto: https://www.motosha.com/blog/
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