Nach dem ich einen Artikel des Spiegels gelesen habe, in dem es um die Mahnwache für den mittlerweile eingeschläferten Hund Chico ging, hat sich in mir das Bedürfnis entwickelt, Stellung zu dem Thema zu nehmen. Für alle, die nicht wissen worum es bei Free Chico ging, hier eine kleine Zusammenfassung.
Vor einigen Tagen hat ein Staffordshire-Terrier-Mix seinen Besitzer und dessen Mutter getötet. Schnell stellte sich heraus, dass Chico unter unwürdigen Verhältnissen gehalten wurde und Quälereien seitens seines Besitzers – ich möchte ihn nur ungern Herrchen nennen – ausgesetzt war. Der Aufschrei gegen die Einschläferung von Chico war dementsprechend groß. 300.000 Menschen unterzeichneten eine Onlinepetition, die die Einschläferung von Chico verhindern sollte. Sie blieben erfolglos. Kurze Zeit später fanden sich in Hannover ca. 80 Menschen zusammen, die eine Mahnwache für Chico abhielten.
Bezeichnungen wie Free Chico, Chico Guevara und Chico der Freiheitskämpfer fielen in einer Häufigkeit, die mich zum Nachdenken brachte. Hier hielten mehrere Menschen eine Mahnwache, für einen Hund, der zwei Menschen das Leben nahm. Ihre Rechtfertigung: Den Hund trifft keine Schuld. Seine Erziehung war der Auslöser dafür, dass er seinem Besitzer und dessen Mutter, welche im Rollstuhl saß, das Leben nahm. Seine Einschläferung in dessen Folge empfanden viele als Mord an dem Hund. Besonders der Vergleich mit einem Freiheitskämpfer stieß mir jedoch auf.
Stellen wir uns vor, Chico wäre also tatsächlich ein Freiheitskämpfer. Die Menschen, die er tötete hätten es verdient, da sie ihn grausam behandelten. Im Grunde verstehe ich, dass der Aufschrei groß ist, einen Hund einzuschläfern, dessen Verhalten durch Schläge und das ständige einsperren in einen sehr kleinen Käfig ausgelöst wurde. Nun kann man das Ganze aber auch auf die Gattung Mensch übertragen. Hier stoße ich dann auch direkt auf meine moralischen Grenzen. Bei meinem folgenden Beispiel werden einige sicher vorwerfen, dass ich Äpfel mit Birnen vergleiche. Dem stimme ich zu. Dennoch, das grundlegende Thema ist das Gleiche.
Übertragen auf einen Menschen wäre also ein jemand der Beispielsweise einige Schüler seiner ehemaligen Schule umbringt, weil sie ihm sein Leben durch Mobbing und Schikanen zur Hölle gemacht haben, ein Freiheitskämpfer. Er hat sich eben gewährt. Die erschossenen Schüler haben es nicht anders verdient, haben sie doch zu seinem Verhalten so vehement beigetragen. Puh! Ich kann mich nicht erinnern im Fall von Tim.K, dem Amokläufer von Winnenden, jemanden gesehen zu haben, der eine Mahnwache abgehalten hätte um seinen Tod zu betrauern oder ihn gar als Freiheitskämpfer zu bezeichnen. Zum Glück!
Klar, muss man sagen, dass ein Mensch die Möglichkeit hat, sein Handeln zu überdenken, während der Hund eben ein Instinktgesteuertes Wesen ist. Dies Mal außer Acht gelassen, muss man dann aber genauso erwähnen, dass auch ein Tim.K grausam behandelt wurde. Jahre lang wurde er durch seine Mitschüler drangsaliert und zu Psychisch zu Grunde gerichtet, wodurch sie seinen Hass immer weiter schürten. Niemand von uns würde jedoch einen Funken Mitleid in sich finden, um dieses ehemalige Mobbingopfer zu betrauern. Auch ich kann mir nicht Vorstellen jemanden, der zu so einer Tat in der Lage ist, in irgendeiner Art und Weise in Schutz zu nehmen, oder ihm eine Träne nachzuweinen. Dieser Mensch hat anderen ihr Leben genommen. In unseren Augen gehört er entweder hart bestraft und weggesperrt, oder wir sind froh darüber, dass er Tod ist. Wieso also haben so viele Menschen Mitleid mit Chico?
Auch ich kann mich nicht davon freisprechen, eine „die Zwei haben es verdient“ Überschrift in meinem Kopf aufblinken gesehen zu haben, als ich von dem Fall Chico laß. Aber es muss doch auch klar gesagt werden, dass man einen verhaltensgestörten Hund wie Chico nicht mehr hätte resozialisieren können. Ein Hund, der bereits so weit geht, dass er seine Besitzer umbringt, kann sicherlich nicht einfach in einer anderen Familie untergebracht werden, oder mit anderen Hunden auf einem Gnadenhof zusammen leben.
Was wäre also die Alternative zum Einschläfern gewesen? Man hätte Chico nur am Leben lassen können, wenn man ihn weiterhin eingesperrt hätte. Sein Leben wäre dadurch in vielen Bereichen so verlaufen wie zuvor. Auch bei seinem Besitzer – ich möchte ihn ungern Herrchen nennen – wurde er überwiegend eingesperrt gehalten. An dieser Stelle frage ich mich, ob die Menschen, die die Mahnwache für Chico abhielten und die 3000.000 anderen, die die Petition Free Chico unterschrieben haben, denn wirklich wollten, dass er unter diesen Umständen weiter lebt. War der Tod nicht eher eine Erlösung für dieses arme Wesen, dessen Leben eine einzige Tortur war? Auch ich kann diese Frage nicht einfach so beantworten. Für mich steht allerdings fest, dass es, besonders im Bezug auf meinen Vergleich mit einem Menschen, der aus ähnlichen Motiven handelte, respektlos gegenüber den zwei Verstorbenen ist, Chico einen Freiheitskämpfer zu nennen.
Autor: P.H. Jägerling