Vor einigen Jahren lernte ich Vanessa bei der Arbeit kennen. Damals, als Bodybuilding noch kein Bestandteil ihres Lebens war, arbeiteten wir zusammen im städtischen Krankenhaus. Nach der Zeit im Krankenhaus hatten wir nichts mehr miteinander zu tun, außer man zählt die Einträge, die man über den Anderen bei Facebook lesen konnte, zur Kategorie Kontakt halten.
In den letzten Monaten sehe ich jedoch immer wieder Bilder, einer extrem durchtrainierten Vanessa auf meiner Startseite aufpoppen.
Vanessa, die ich eigentlich nur als sehr natürliche, junge Frau kennengelernt hatte, sah mir nun zu 100% definiert und in dem, gefühlt, dunkelsten braun das man sich auf den Körper Pinseln konnte, entgegen.
Immer öfter kamen neue Bilder dazu. Eines mit Pokal, andere mit ebenfalls sehr definierten Menschen, die eindeutig aus der Bodybuilder- Szene kommen.
Das mein Interesse an ihrem Treiben so groß ist, liegt unter anderem daran, dass sie MICH, den unsportlichsten Menschen überhaupt, kurz bevor sich unser Kontakt im Sande und der weiten Welt von Facebook verlief, fragte, ob wir nicht Mal zusammen ins Fitnesscenter gehen könnten.
Sie erklärte mir, sie würde sich alleine nicht motivieren können, regelmäßig hinzugehen.
Ich beschloss sie anzuschreiben und fragte, ob es möglich wäre sie zu interviewen.
„Das letzte Mal das wir miteinander schrieben fragtest du mich, ob ich mit dir zum Fitnesscenter gehen würde, weil du dich alleine nicht motivieren könntest. Seit dem hat sich deine Einstellung zu Sport und Motivation wohl grundlegend geändert. Wie kam es dazu?“, frage ich sie.
Sie stockt kurz. „Ehrliche Antwort?“
„Unbedingt.“, antworte ich mit Nachdruck.
„Okay, mein Papa ist an einem Arbeitsunfall gestorben und ich kam aus diesem Tief nicht mehr raus. Hatte das Gefühl alles läuft scheiße, auch bei meiner Schwester – sie ist darauf hin magersüchtig geworden.“, sagt sie so schnell, dass ich das Gefühl bekomme, sie hätte bereits öfters darüber nachgedacht.
„Sport war dann eigentlich so das, was meine Trauer, Aggressionen.“, sie unterbricht den Satz und führt ihn anders fort. „Also ich war sauer. Ich war richtig sauer. Warum ausgerechnet Papa, hab ich mich gefragt. Und dann konnte ich meine ganze Energie, oder eher gesagt meine ganze Geladenheit, im Sport raus lassen. Und es war wirklich das Einzige was mir geholfen hat damit umzugehen. Mit dem Tod fertig zu werden.
So hat es sich dann entwickelt.
Irgendwann wurde ich von immer mehr Leuten auf meinen Körper angesprochen und gefragt, ob ich nicht mal auf die Bühne wolle. Aber ich hab immer verneint. Ich wollte es nur für mich machen, einfach weil es mir gut tut.
Später sagte jemand, es wäre eigentlich zu schade mit dieser vorhanden Genetik und dem was ich bis dahin erreicht hatte, nicht wenigstens mal zu versuchen an einem Wettbewerb für Bodybuilding teilzunehmen.
Ich hatte nichts zu verlieren, also habe ich es ausprobiert.
Mir wurde empfohlen mich bei Regiane da Silver und Matthias Botthof zu melden.
Die Beiden führen die Sportschule Gudensberg in Hessen und kennen sich mit Bodybuilding gut aus.
Dann habe ich dem Matthias einfach mal geschrieben.
Als ich dann erzählte, dass ich zwei Kinder habe und auch mal 30 Kilo abgenommen habe, war er erst skeptisch und hatte angemerkt, dass dann vielleicht doch etwas zu viel hängende Haut da wäre, ich also nicht fürs Bodybuilding gemacht wäre.
Nach dem ich ihm dann Fotos geschickt hatte, gab er schnell an sich geirrt zu haben.
Da ich ihn neugierig gemacht hatte, hat er es geschafft in seinem ausgebuchten Terminkalender noch Platz für mich zu finden.
Kurze Zeit später bin ich mit meinem Mann dann nach Hessen zur Sportschule gefahren, habe mich vorgestellt. Im Bikini sollte ich ein paar Posen für Matthias und Regiane machen.
Ich bin direkt davon ausgegangen, dass sich die Sache für mich an dieser Stelle erledigt hat. Dann guckten sich die Zwei nur an und plötzlich sagten sie mir, dass ich schon in drei Wochen auf die Bühne kann. Mein erster Wettkampf. So begann das Kapitel Bodybuilding.
Ich dachte nur noch waaaas? Drei Wochen?
Ich hatte bis dahin noch nie auf Highheels gestanden, war absolut kein Typ für Schminke, hatte nie gemachte Haare, oder Nägel und Füße, nie gelernt zu Posen, und dann ging das alles so flott.“, merkt sie an und klingt dabei als hätte sie noch immer keine Zeit gehabt es zu verarbeiten.“
„Wie lange bereiten sich denn die meisten anderen Damen auf so einen Wettbewerb für Bodybuilding vor? Ich vermute drei Wochen sind da eigentlich etwas wenig.“, gebe ich kritisch von mir.
„Das kann man wohl so sagen. Die meisten bereiten sich ungefähr 10 Monate darauf vor. Wenigstens nen halbes Jahr aber auf jeden Fall.“
„Also hast du dich im Vorfeld schon so stark selbst definiert, so, dass du einfach gleich an einem Wettbewerber teilnehmen konntest, ohne, dass die Trainer noch besonders viel Arbeit in dich investieren mussten?“
„Ja genau, also ich war fertig. Eine fertige Athletin. Mir wurde auch im Nachhinein von sehr vielen gesagt, dass den Trainern nichts besseres hätte passieren können, als dass ich mich da schon als komplett fertige Athletin vorstelle, die man nur noch anpinseln muss und dann schon auf die Bühne stellen kann.“
„Wie lässt sich denn das Ganze mit deiner Familie vereinen? Du hast einen Mann und zwei Kinder, arbeitest nebenbei als Krankenschwester. Wie lässt sich das regeln. Das Bodybuilding nimmt ja sicherlich viel Zeit in Anspruch.“
„Dadurch das mein Mann in vier Schichten arbeitet, musste ich meinen Job als Krankenschwester eh irgendwann an den Nagel hängen. Es war einfach nicht mehr möglich unser Leben gescheit zu planen. Immer brauchte man einen Babysitter. Irgendwann hat er gesagt, ich solle zu Hause bleiben und einfach Mama sein. Er würde genug verdienen und der Stress würde keinem mehr etwas bringen.
Dadurch habe ich nun theoretisch jeden Morgen Zeit, sobald die Kinder in der Schule und im Kindergarten sind, trainieren zu gehen. Also, wenn ich möchte kann ich jeden Tag zum Bodybuilding gehen.“
„Und deine Familie unterstützt dich auch sonst bei deiner neugewonnenen Vorliebe?“
„Ja, total. Meine Mama passt, wenn Wettkämpfe sind, immer auf die Kinder auf und mein Mann kommt quasi als mein Betreuer mit.
Da kümmert er sich dann auch hinter den Kulissen um mich.
Du selber bist an den Tagen des Wettkampfes einfach super geschwächt, weil du den ganzen Tag nichts gegessen und getrunken hast, um auf der Bühne Perfekt auszusehen. Beim Aufwärmen hilft er mir dann auch noch.
Er sorgt dafür, dass ich die Gewichte auch wirklich oben halten kann.“, das mit den Gewichten sagt sie etwas leiser und verschmitzt, als wenn sie nicht zugeben wollen würde, dass es ihr in diesem Moment nicht alleine möglich ist, die Gewichte zu stämmen.
„Bei der letzten Saison habe ich mich dann für die deutsche Meisterschaft qualifiziert. Da dürfen dann auch nur noch die Besten bei sein.
Bei dem Wettkampf waren dann aber auch wirklich alle dabei. Meine Kinder, meine Mutter, mein Mann. Alle haben mich unterstützt und waren stolz auf mich.“
„Nutzt du das Bodybuilding auch ein Stück weit, um dir selber, oder einem anderen Menschen etwas zu beweisen? Gibt es dir etwas, was du anders nicht bekommen kannst?“
„Oh ja. Also ich war immer ein Papa-Kind. Und meine Schwester auch. Ich wollte ihn natürlich immer stolz machen. Aber ich hatte das Gefühl, Papa war so… Naja, eben nicht so der Mensch, der das einfach so zeigen konnte. Also, so Gefühle und Liebhaben und ich bin stolz auf euch.
Außerdem hatte er immer sehr hohe Erwartungen an uns.
Irgendwie dachte ich dann, er kann mit den Jungs besser. Einfach weil Papa immer sehr aktiv war. Er hat immer viel gemacht und gearbeitet und gebaut. Er war viel mit den Männern zusammen.
Auch mit meinem Mann. Die haben immer viel am Haus gemacht und ich wollte meinem Papa eben zeigen, dass ich auch was kann. Ich wollte, dass er stolz auf mich ist.
Durch den Sport habe ich das Gefühl bekommen das ist etwas, was ihn stolz gemacht hätte.
Vorher wusste ich einfach nie so wirklich wo ich hingehörte. Ich habe auch immer nach Dingen gesucht, die ihn begeistern würden, aber irgendwie nicht das Passende gefunden.
Als ich dann das Bodybuilding für mich entdeckte, wusste ich, dass ich gerade dabei war etwas zu erreichen, das meinen Vater unheimlich stolz gemacht hätte. Es ist kein Mädels-Ding. Ich beweise da wie stark ich bin.“
„Wie gestaltet sich deine Trainingszeit wenn es auf einen Wettbewerb zugeht?“
„Dadurch, dass ich eh das ganze Jahr regelmäßig trainieren gehe, bereite ich mich einfach nur noch ein wenig intensiver vor.
Das mache ich dann ca. drei Wochen vor den Wettkampf. Bei anderen dauert das halt länger.
Ich bin einfach das ganze Jahr über bühnenfähig.
Die meisten müssen erst mal wieder was abnehmen und gehen in der Off-Season viel essen und trainieren um Muskeln aufzubauen.
Danach kommt dann noch die Phase wo definiert wird. Ausdauertraining und eine Diät erfolgen. Dadurch werden dann die Muskelmassen wieder freigelegt.
Da ich für die Bikini-Klasse schon genug Muskeln habe, eigentlich sogar ein bisschen zu viel, brauche ich ja keine mehr dazu zu trainieren.
Recht drahtig bin ich auch die meiste Zeit über, also muss ich auch nicht abnehmen.
Ich bin 1.62 groß und wiege aktuell 52 kg, gehe das ganze Jahr über, 5 mal die Woche, für ca. 1.5-2 Stunden, zum Sport. Egal ob kurz vor dem Wettkampf, oder direkt danach.“
„Kannst du dir Vorstellen, dass ein Teil deines Selbstbewusstseins davon abhängt, ob du in dieser Szene weit kommen wirst, oder glaubst du, es wird dir in keinster Weise schaden, wenn es dann doch nicht so kommt?“
„Kann schon sein.“, sagt sie nach einer kurzen, stillen Pause.
Im Moment macht es mir einfach Spaß, aber ich würde schon gerne auch mal bei der deutschen Meisterschaft unter die Top 6 kommen.“, wieder macht sie eine nachdenkliche Pause.
„Etwas zu erreichen ist schon gut fürs Selbstbewusstsein.
Ich war ja auch mal sehr viel dicker. Damals wog ich 70 Kilo bei einer Größe von 1,40 m.
Von anderen wurde ich gehänselt. Da tut es schon gut zu sehen was man da jetzt gerade schafft.
Dadurch das man mich so viel gehänselt hat bin ich in die Bulimie gerutscht.
Durch die Schwangerschaften bin ich da zum Glück wieder herausgekommen. Ich gehe ganz anders an die Wettkämpfe ran als die anderen Frauen.
Viele nehmen wirklich etwas auf sich, was ihrem Körper nicht gut tun kann. Die quälen sich wirklich.
Sie quälen sich mit den Diäten, mit dem Sport an sich. Gehen teilweise an die Grenzen ihrer Gesundheit, besonders das entwässern, wozu sie sich dann sogar noch Entwässerungspillen einschmeißen.
Deshalb habe ich zu meinem Mann gesagt, dass ich das Ganze jetzt mal versuche, und wenn ich sehe, dass das mit meiner Gesundheit nicht hin haut – ich vielleicht sogar in alte Muster falle – dann war es das halt eben wider.
Meine Gesundheit geht einfach vor.
Bisher habe ich aber das Gefühl es hat meiner Gesundheit gut getan.
Also dieses geregelte Essen und dann noch achtsam zu essen. Bewusst zu essen.
Kurz vor einem Wettkampf fange auch ich an ein bisschen mehr auf meine Ernährung zu achten.
Wenn man mal drauf achtet was man so isst, weiß man Lebensmittel irgendwann auch wieder viel mehr zu schätzen.
Für jemanden wie mich, der mal an Bulimie litt, ist das natürlich sehr gut.
Entweder denkst du Essen ist schlecht, du darfst gar nichts mehr essen, oder du stopfst alles in dich rein und erbrichst es dann wieder.
Da ich mich für diesen Sport nun so mit dem Essen auseinander setzten muss, habe ich wirklich das Gefühl mich besser im Griff zu haben und diesen Kurs auch halten zu können. Ich nehme meine Mahlzeiten auf alle Fälle nun anders wahr, als ich das mal getan habe und das finde ich richtig gut.“
„Wie erfolgreich warst du bisher auf der Bühne?“
„Mein erster Wettkampf im Bodybuilding, der, der nach drei Wochen schon anstand und in Augsburg statt fand, war bisher mein schlechtester. Da kam ich auf Platz 10 von 35 Frauen. Meinen besten Wettbewerb habe ich mit Platz drei verlassen. Das war in Weimar.
Was ich allerdings feststellt habe ist, dass so viel Mist in dem Sport läuft.
Es ist so, wenn du ein New Comer im Bodybuilding bist, und das war ich ja letztes Jahr noch, dann hast du natürlich noch keine Wettbewerbe mitgemacht und dir auch noch keinen Namen machen können. Keiner kennt dich. Du musst dir deine Bekanntheit erst aufbauen. Ist eigentlich voll mies, denn wenn ich nun mal schon direkt so weit fertig bin und meine Form da ist, ist es ja doof wenn ich trotzdem erst 2-3 Jahre dabei sein muss um mir einen Namen zu machen und gewinnen zu können.
So bekommt man dann eben nicht den Platz, den man vielleicht eigentlich verdient hätte.
Ich war jetzt bei der deutschen Meisterschaft als einziger New Comer, die anderen waren alle schon Jahre dabei. Kurz, die ersten Plätze kann ich mir mit Glück vielleicht in zwei Jahren holen. Einfach dann, wenn man mich schon öfter gesehen hat. Das finde ich ärgerlich und schade.“
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