Bulimie ist so ziemlich jedem als Krankheit bekannt. Wir wissen, dass Erkrankte sich nach übermäßigem essen übergeben und haben ein Bild diese Krankheit im Kopf. Was wir aber auch im Kopf haben, wenn wir das Wort Bulimie hören, ist eine Frau. Grade Essstörungen wie Bulimie und Magersucht, werden oft eher der Frau zugeschrieben. Das es sehr viele Männer gibt, die ebenfalls erkannt sind, wird meistens nicht Thematisiert. Zu feminin scheint das Bild der Bulimie in unseren Köpfen geprägt zu sein. Deshalb habe ich mich mit *Maximilian unterhalten. Er ist 32 Jahre alt, Heilerziehungspfleger und an Bulimie erkrankt.
„Wie lange leidest du schon an Bulimie?“
„Ich leide gar nicht. Ich weiß, dass es eine Krankheit ist und ich weiß auch, dass seelisch etwas fehlgeleitet wird. Aber wirkliches Leid erfahre ich dadurch nicht.
Dennoch, das erste Mal aus freien Stücken erbrochen habe ich vor etwa 2 Jahren.“
„Gab es eine bestimmte Situation, die die Bulimie zum Vorschein brachte?“
„Ja, ich wurde verlassen und habe den Frust nicht verarbeiten können. Das führte zu dem Gedanken, mich durch Laufen (später joggen) selbst zu geißeln, was ich dann auch tat. Erst waren es nur 1-2 km, nach 4 Wochen jeden Tag zwischen 6-12 km. Ich nahm rasend schnell ab. Mein Startgewicht damals waren 139 kg bei 170 cm. Ich fand mich nie hässlich oder hatte Probleme mit meinem Gewicht. Die Frauen schienen es auch zu mögen. Die Trennung löste bei mir jedoch das Gefühl aus, nicht gut genug zu sein.
Die Bewegung und das Abnehmen taten mir gut und ich begann Essen als seelischen Ausgleich zu betrachten. Dann kam irgendwann der Punkt, an dem ich nicht mehr abnahm. Bei etwa 110 kg. Ganz selbstverständlich zeigte ich meinen Mahlzeiten ab diesem Zeitpunkt den Ausgang. Ich übergab mich. Das war für mich auf ein Mal ganz normal.“
„Aber das erste Mal zu denken „ich werde das Essen los in dem ich mich übergebe“, muss doch ein innerlicher Prozess gewesen sein, oder?“
„Ja natürlich. Es war wie ein Befehl von mir selbst. Was rein geht muss auch raus, sonst werde ich nie schön genug sein, war der Gedanke dahinter.“
„Aber du fandest dich doch nicht unattraktiv. Warum dann der Gedanke, sonst nicht schön genug zu sein?“
„Das stimmt, grundsätzlich hab ich mich nie unattraktiv gefunden. Und das obwohl ich früher ein richtiger Klops war. Was bei mir so zu Buche geschlagen hat war eher diese Trennen. Sie ist zurück zu ihrem schlanken und durchtrainiertem Ex-freund. Das hat bei mir so krass gesessen, dass ich darauf hin eben begonnen habe zu laufen. Ich wollte mich quasi totlaufen. Zumindest war das der Wunsch dahinter. Dadurch habe ich dann natürlich einiges abgenommen. Als es aber nicht mehr weniger wurde dachte ich, ich muss halt aufhören zu essen, um nicht zuzunehmen. Aber zu dem Zeitpunkt waren ja immer noch 110 kg übrig.
Auch wenn die Bulimie durch die Trennung ausgelöst wurde, fand ich mit der Zeit heraus, dass dieses Gefühl, nicht gut genug zu sein, schon weit vor der Trennung entstanden ist.“
„Also waren durchaus schon Probleme mit deiner eigenen Akzeptanz vorhanden, bevor die Dame in dein Leben kam ?“
„Die Beziehung ging knapp 3 Jahre. Du musst verstehen, dass ich vor dieser Beziehung sicher sehr viel kompensiert habe – durch fressen. Allerdings wusste ich das nicht. Ich dachte essen ist einfach ein „Hobby“ von mir. Mag ich gerne, tat ich also. Erst nach der Beziehung hab ich gemerkt, dass das alles Kompensation war.“
„Wie häufig kommt es vor, dass du dich nach dem Essen übergibst und gehören Fressattacken bei dir dazu oder übergibst du dich auch nach Mahlzeiten, die eine normale Menge beinhalten?“
„Ja, Fressattacken gehören bei mir dazu. Ich hab mich nie regelmäßig übergeben. Mal ein halbes Jahr lang nach jeder Mahlzeit, dann habe ich wieder versucht damit aufzuhören und mich gezwungen, viel zu Essen und es drin zu behalten. Im Endeffekt war mein Essverhalten generell schon immer gestört.
Seit einer Woche übergebe ich mich gar nicht. Ich will gesund sein, dazu gehört Disziplin. Ich will der Mann sein, den ich gut finde, wie ich ihn mir vorstelle. Und dieser Mann macht Sport, isst vernünftig und ist geprägt von Souveränität und Disziplin. Deshalb sitze ich gerade nach erfolgreichem Training in der Umkleide und antworte dir.“
„Das klingt nach verdammt guten Vorsätzen. Welche Mengen verputzt du denn, wenn du einfach in dich rein stopfst?“
„Ich beschriebe es Mal so: ich hab Bock auf einen Keks, nehme mir einen Keks. Dann esse ich doch einen zweiten und dann sind schon es plötzlich drei Packungen, weil es mir einfach keine Befriedigung gebracht hat. Nach drei Schachteln merke ich dann irgendwie, dass es jetzt mal langsam reicht und dann muss es eben schnell wieder raus. So läuft das jedes Mal, egal worauf ich grade Bock habe. Burger, Kekse, alles wird in übertriebenen Mengen hineingestopft. In meinem Freundeskreis halte ich den Rekord im Burger-essen. Er liegt bei 20 Burgern. Einfach eklig wenn ich darüber nachdenke.“
„Was löst es für Gefühle und Gedanken aus, sich der Bulimie entgegen zu setzten?“
„Das übergeben ist das kleinste Problem für mich wenn es um die Bulimie geht. Es geht viel mehr um das Seelenheil. Ich weiß halt, dass ich an Bulimie erkrankt bin, weil ich verletzt bin und mich selbst nicht ausreichend mag. Teilweise nutze ich das Essen und Übergeben auch als Strafe. All das hat ausgelöst, dass ich einfach nicht mehr die Person sein will, die ich die ganze Zeit war. Ich möchte jemanden aus mir machen, der mir gefällt. Das Brechen selber löst eigentlich keine großen Gefühle bei mir aus.“
„Du sagtest vorhin, dass es dich nicht befriedigt so viel zu Essen und du deshalb weiter machst. Wenn es aber nicht Befriedigung ist, was ist es dann, was dich dazu treibt weiter zu essen?“
„Naja, es ist eben als wenn du durstig bist. Du trinkst und trinkst aber es stillt den Durst nicht. Es ist wie ein Zwang. Ich muss dann einfach essen. Ich versuche damit halt irgendwas auszugleichen, ein schlechtes Gefühl oder ähnliches. Aber das klappt nicht.“
Behalte ich das Essen z.B drin, dann fühle ich mich echt widerlich. Wenn ich erst Mal anfange zu essen, ist es wie eine Raserei. Ich verliere einfach die Kontrolle. Bin wie fremdgesteuert.“
„Ist ein Zwang nach bestimmtem Essen dabei oder wäre es auch in Ordnung, wenn dir jemand einfach massig Obst oder Brot hinstellt? Würdest du das dann auch in solchen Mengen in dich hineinstopfen?“
„Ne, das entsprechende Nahrungsmittel, das ich mir einverleibe, wird durch Lust auf dieses ausgelöst. Ich vergleiche diesen Moment gerne mit Sex. Ich vögel wie bekloppt, aber erreiche den Orgasmus nicht. Egal wie viel ich rein stopfe, die Befriedigung bleibt aus. Obst oder Brot kämen also nicht in frage.“
„Wissen deine Freunde und deine Familie von deiner Bulimie?“
„Über 1 1/2 Jahre hat niemand etwas mitbekommen. Irgendwann hab ich bei einem Bier Mal meiner Schwester von der Bulimie erzählt. Aber nur so viel, dass ich „Mal“ erbrochen hab. In ihren Augen war es also nur eine Phase, die nun vorbei ist, keine Bulimie. Ergo weiß es niemand, außer den Mitgliedern einer Gruppe für Essgestörte, der ich in Facebook beigetreten bin.“
„Warum erzählst du es keinem?“
„Ich bin sonst eben eher standhaft. Daran hab ich lange gearbeitet und will nun keine leidende Position einnehmen. Ich bekomme das hin, wie alles andere auch. Opfer-Rolle ist nicht meins.“
„Denkst du, als Frau ist es einfacher, die Bulimie auch bei Freunden und der Familie anzusprechen?“
„Puh, keine Ahnung. Ich kann nur von mir ausgehen. Da spielen die Umstände die größerer Rolle denke ich. Es fällt mir ja nicht schwer, es in dem Sinne anzusprechen. Es würde nur ein endgültiges Anerkennen der Bulimie bedeuten und damit komme ich nicht klar. Deshalb teile ich es niemandem mit. Nicht weil ich das als Mann schwieriger finde. Ich kämpfe lieber und gewinne dann. Im Nachhinein kann ich es mir dann wesentlich besser eingestehen.“
„Hast du mal über eine Psychotherapie nachgedacht, um dich mit der Bulimie auseinander zu setzen?“
„Das mach ich alles selbst. Ne, das ist Quatsch. Ich hab über eine Therapie nachgedacht aber ein Platz ist schwer zu kriegen. Und Zeit hab ich eigentlich auch keine.“
„Was wäre dein Schlusswort zum Thema Bulimie?“
“ Es ist eine verflucht abgefuckte, miese und hinterlistige Krankheit.“
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