Für die meisten Menschen ist Sex etwas völlig natürliches und vor allem wichtiges. Nicht so für Jan. Er ist asexuel. Der Gedanke an Sex löst in ihm eher Langeweile aus. der 28 Jährige steht gerade kurz vor seinem Examen zum Physiotherapeuten.Ich erfahre im Vorfeld, dass er Philosophie und Soziologie studiert hat. „Ich habe es soweit durchgezogen, wie ich für mich interessante Aspekte daraus ziehen konnte, die mir weiterhelfen“, sagt er. „Ein Studium ist ja ein Bildungsgang und kein Ausbildungsgang.“
„Wie definierst du den Begriff asexuel?“
„Mh, es gibt eine Grundvoraussetzung und mehrere optionale Eigenschaften um einschätzen zu können, ob man asexuel ist. Die Grundvoraussetzung ist ein fehlender Sexualtrieb, bzw. mangelndes Interesse an Sex.
Optional sind so was wie romantische Gefühle, ob jemand liebt, nur starke Gefühle entwickelt, platonische Liebe empfindet, oder gar keine emotionale Regung diesbezüglich hat.
Ein weiterer Punkt ist Selbstbefriedigung ja oder nein.
Für mich definiert sich asexuel zu sein so: Kein Sexualtrieb, Fähigkeit zu romantischen Gefühlen ja, Masturbation ja, Liebe…Ich finde es schwer zu differenzieren zwischen starken Gefühlen und Liebe.“
Warum befriedigst du dich denn selbst, wenn du keinen Sexualtrieb verspürst?“
„Weil es nur ein biochemischer Vorgang zur Ausschüttung von Endorphinen ist, es entspannt.“
„Also ziehst du daraus ein Nutzen. Und Sex mit einem anderen Menschen würde nicht die gleiche Entspannung mit sich bringen?“
„Mh, sagen wir es so, ich mache lieber meinen Abwasch als Sex zu haben.“
„Wann kam der Punkt in deinem Leben, an dem dir auffiel, dass du asexuel bist?“
„Was heißt wann ist mir aufgefallen, dass ich asexuel bin? Ich kann nicht sagen, dass das ich überhaupt je Interesse an Sex gehabt hätte. Das ist schwierig zu beantworten. Kann sein, dass ich diesbezüglich eher ein Spätzünder war und es einfach interessantere Dinge für mich gab.
Ich war sowieso eher einer von den Kerlen, die sich mit Mädchen umgeben haben, während die anderen Jungs Fußball speilten.
Drum waren Mädchen nicht mit Beginn der Pubertät DIE Neuentdeckung für mich, ich hatte schon immer ein recht gutes und freundschaftliches Verhältnis zu ihnen.
Früher hat man so was gerne „Frauenversteher“ genannt, aber ich bin eher der Meinung, wer halbwegs Interesse am anderen Menschen zeigt, versteht auch, was sie wollen.“
„Was genau findest du denn am Sex so unangenehm, dass du lieber den Abwasch machen würdest? Das ist sicherlich eine Antwort die die meisten nicht so einfach nachvollziehen können.“
„Ganz einfach, es frisst Zeit. Intimität und Nähe kann man auch anders haben. Zusammen auf dem Sofa kuscheln und dabei einen Film schauen zum Beispiel.
Dann hab ich am Ende vom Tag Nähe gehabt UND konnte einen neuen Film schauen.“
„Was macht denn Sexualität dann noch für dich aus und kannst du sie in irgendeiner Form genießen?“
„Mich macht es glücklich andere glücklich zu machen. Ich kann Nähe zu anderen Menschen, die ich gern habe, auch genießen wenn ich asexuel bin. Aber da brauche ich nicht mehr, als sie im Arm zu haben und zu kraulen. Anziehung kann da auf verschiedene Weisen entstehen.
Auf den ersten Blick können das körperliche Attribute sein, aber am wichtigsten ist eher ein Charakter, mit dem man auf einer Wellenlänge ist.
Gemeinsame Hobbys und Interessen sind da auch recht hilfreich. Ein Gesamtkonzept. Und ich würde es eher als ästhetische Anziehung statt sexuelle Anziehung bezeichnen. Jeder Mensch ist auf seine Weise ein Kunstwerk, und das gilt es wertzuschätzen.
Aber noch mal zum Sex, was ja für die meisten, die nicht asexuel sind, unverständlich ist. Ich kann eine Erektion haben, aber ich komm beim Sex halt nicht.
Es macht mir keinen Spaß. Und was bringt es mir, wenn sie schon den dritten Orgasmus hat und ich mich frage, ob ich nicht einfach irgendwann mal aufhören soll?“
„Warum kannst du dann bei der Selbstbefriedigung einen Orgasmus erreichen und beim Sex nicht?“
„Ich nehme an, weil ich bei der Selbstbefriedigung ein anderes Ziel verfolge. Wäre ja blöd, wenn das Ziel beim Sex nur das schnelle Kommen wäre. So ist es bei mir aber wenn ich onaniere.“
„So wie du darüber redest komme ich zu der Annahme, dass du trotz deiner Abneigung also durchaus schon Sex hattest.“
„Ja. Auch wenn ich asexuel bin kann ich natürlich Sex haben, einige Asexuelle machen das dann auch nur wegen der Nähe zur anderen Person, oder um eine gemeinsame intime Aktivität zu haben, aber nicht wegen des Coitus. Ich hatte eine Partnerin, die ebenfalls asexuel war. Davor hatte ich auch schon Mal eine offene Beziehung in der Sex durchaus vorkam.
Nur weil es mich nicht interessiert kann ich es ja meinem Partner nicht vorenthalten.“
„Wie kann ich mir die Beziehung zu der asexuellen Freundin vorstellen und wie zu der in der offenen Beziehung?“
„Ersteres bitte gar nicht!
In der offenen Beziehung waren wir für einander da, und zwischendurch, wenn sie mal Sex wollte, hat sie den schon irgendwie bekommen.
Mein Interesse wie und mit wem, war da ziemlich gering. Aber ich erkenne durchaus, dass Sex für viele Menschen essentiell ist und was richtig schönes. Manchmal auch einfach nur eine Triebbefriedigung. Aber für mich halt nicht.“
„Ist es für deine Partnerinnen denn ein Problem wenn sie hören, dass du asexuel bist? Ich stelle es mir nicht leicht vor, zu wissen, dass ich meinen Partner zum Sex überreden muss oder er nur mir zuliebe mitmacht. Asexuell hin oder her.“
„Das ist der Punkt, ich gehe Beziehungen eher aus dem Weg. Man hat durch eine Freundschaft mit mir auch nicht viel weniger.
Das Upgrade von Freundschaft zu Beziehung ist jetzt nicht so groß, wenn man den Aspekt von garantiertem Sex und evtl. zusammen Wohnen außen vor lässt.
Ein guter Freund denkt genauso an dich und ist für dich da, mit dem kannst du genauso was unternehmen.“
„Warum kam es denn dann trotzdem zu diesen Beziehungen?“
„Also ich hatte bisher 4 Partner. Beziehung eins war noch so Anfang der Pubertät. Da war es eine gute Freundschaft, bei der sich keiner so richtig getraut hat Farbe zu bekennen, ob nun Beziehung oder nicht.
Es war eine gute Freundschaft, aber die Assoziationen und Erwartungen, die andere an eine Beziehung hatten, war es einfach nicht. Es war uns zu lästig, gegen so eine Erwartungshaltung anzukämpfen. Also ließen wir es bleiben.
Beziehung zwei war eine Freundin, die in der Beziehung davor von ihrem Partner misshandelt und geschlagen wurde, und von dem sie ein Kind hatte.
Was sie mitbrachte. Ein schlechtes Selbstbild und 0 vertrauen in Kerle. Ich habe ihr in den zwei Jahren wieder auf die Beine geholfen und ihr wieder vertrauen in Männer gegeben. Aber das war eine Beziehung die von Anfang an eine Ablauffrist hatte.
Nun ja, Beziehung drei war mit einer langjährigen guten Freundin. Wir waren so viel zusammen, dass andere eh schon glaubten, wir wären ein Paar.
Später kam dann einfach die Frage „Warum eigentlich nicht?“ Also haben wir dann drei Monate lang ausprobiert, wie es wäre. Wir haben schnell gemerkt, sehr gute Freundschaft ist weit mehr Wert, als eine Beziehung. Sie ist für mich auch eher so was wie eine kleine Schwester.
Beziehung Nummer vier war eine Person mit einigen psychischen Problemen, die eine Konstante im Leben gebraucht hat. Also hab ich mich um sie gekümmert,
bis sich irgendwann die zu großen Unterscheide nicht mehr haben weg ignorieren lassen.
Also zusammenfassend, waren die Beziehungsdauern drei Jahre, zwei Jahre, drei Monate und im fließenden Übergang ein Jahr. Letzteres war zum Großteil eine Fernbeziehung.“
„Warum habt ihr überhaupt eine Beziehung daraus gemacht, wenn ihr eh so weit auseinander wart, der Sex somit meistens weggefallen wäre und ihr auch einfach Freunde hättet bleiben können?“
„Es war der nächste logische Schritt. Ich bin zu jemandem geworden, der sie erden konnte, wenn sie wieder von ihren Zwängen übermannt worden ist.“
„Also ist das Gefühl für jemanden mehr zu sein als ein normaler Freund schon wichtig für dich?“
„Ja, schon.“
„Wie stellst du dir denn deine Zukunft in Bezug auf Beziehung Liebe, einer eigenen Familie usw. vor?“
„Erstmal mache ich jetzt mein Staatsexamen. Dann arbeiten, Geld verdienen, Existenz aufbauen und dann, dann kann ich mich mit so was befassen.“
„Denkst du es wird schwer einen dauerhaften Partner zu finden, und ist es Voraussetzung, dass dies eine Frau ist?“
„Mh, ich fühle mich da doch zu Frauen mehr hingezogen als zu Männern, aber einen dauerhaften männlichen Mitbewohner zu haben, wäre auch nicht schlimm. Einen Partner zu finden ist faszinierender Weise gar nicht so schwer. An Anfragen mangelt es mir nicht, ich möchte nur nicht.
Wer mich kennt, weiß dass ich asexuell bin und, dass das einer der Gründe ist, warum ich aktiv nicht auf Partnersuche bin.
Wer sich dennoch für mich interessiert, dem ist es dann egal ob ich asexuel bin oder nicht.“
„Denkst du, dass asexuelle Frauen es schwieriger bei der Partnersuche haben als die Männer?“
„Nicht wirklich. Man könnte jetzt argumentieren, dass Männer da doch triebgesteuerter sind und mehr auf Sex aus sind, aber das trifft genauso auf Frauen zu.
Also ist es für Beide ungefähr gleich schwer, einen passenden Partner zu finden, vermute ich. Außerdem ist es glaub ich für eine Frau leichter einen Orgasmus vorzutäuschen als für einen Mann.“
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Lange Zeit dachte ich meine Asexualität wäre etwas für dass ich mich schämen müsste. Aber mittlerweile habe habe ich schon einige Menschen kennengelernt denen es genaus so geht wie mir. Ich bin numal nicht triebgesteuert- ich weiß auch nicht wieso – es ist vielleicht schade, aber so beleibt mehr zeit für andere Dinge! Ich hatte erst einen Geschlechtspartner und weiß wie sich sex anfühlt. Es ist nichts dass ich bisher vermisse und das ist mindestens 8 Jahre her.
asexualität ist nichts wofür man sich schämen muss, da hast du recht. jeder mensch ist anders und genau das macht ihn besonders und interessant. Auch dich 🙂