Elli* ist 24 Jahre alt und nun seit 6 Jahren mit ihrem Freund Alex* (27) in einer Beziehung. Von Anfang an hat sie ihn aufgeklärt. Elli ist A-sexuell. Auch wenn man immer öfter davon hört, ist es den meisten Menschen eher ein Fremdbegriff. A-sexuell zu sein, bedeutet in erster Linie zwar eine Beziehung führen zu wollen, die auf Gefühlen von Liebe und Zuneigung basiert, aber kein Interesse an Sex mit dem Partner oder sonst einem Menschen zu haben.
So geht es auch Elli. Das anfängliche Problem ihrer Beziehung: Alex findet Sex, wie die meisten Männer in seinem Alter, ziemlich super. Wie die Beiden mit dem Thema A-sexualität umgehen und wie sie trotz des fehlenden Sex, durch Tantra aufeinander eingehen, erzählt mir Elli ohne ein Blatt vor der Mund zu nehmen.
„Wie alt warst du, als du bemerkt hast, dass du A-sexuell bist und wie genau hat es sich für dich bemerkbar gemacht?“
„Als plötzlich alle nur noch davon redeten, dass sie ihr erstes Mal hatten, fragte ich mich, was daran so toll sei. Warum hab ich dieses Bedürfnis nicht? Stimmt mit mir was nicht? Bin ich vielleicht noch nicht reif genug? Alle schwärmten von Sex und hoben es in den Himmel. (Ich war 15/16 Jahre alt zu dem Zeitpunkt). Nach Absprache lies ich mich von einem Freund entjungfern.
Ich wollte heraus finden was alle so toll am Sex finden. Ich fragte mich so oft warum ich eben keinen Sex möchte? Kurze Zeit nach dem ersten Mal ging ich mit meinem „Problem“ dann zu meinem Frauenarzt und erklärte ihm alles. Dieser erklärte mir dann, dass es völlig normal ist. Er erklärte mir, dass man keine sexuellen Bedürfnisse zu anderen Menschen entwickelt, wenn man A-sexuel ist. Ich wusste zu dem Zeitpunkt nicht einmal was das ist.
Er gab mir eine Broschüre, in der es sehr kompliziert beschrieben war. Alle verliebten sich, ebenso wie ich, aber alles was weiter ging als kuscheln und küssen war einfach eine Bedrullie. Wenn mich ein erregtes Glied „ansah“ war es für mich eher erschreckend und nicht erregend.“
„Du hast den Freund, der dich entjungfert hat also zuvor eingeweiht und gesagt warum du das möchtest? Was hast du empfunden und welche Denkprozesse wurden durch den Besuch beim Arzt ausgelöst?“
„Der Freund war damals mein bester Freund und es war abgemacht, dass er der Erste ist, weils einfach die größte Vertrauensperson war. Er wusste allerdings nicht, dass ich das nur mache um zu verstehen, was alle daran so toll fanden. Nach dem Arzttermin wusste ich, dass ich ganz normal bin und nicht krank. Es ist eben einfach so, dass manche Menschen einfach keine sexuelle Lust empfinden . Anfangs hab ich aber immer noch gedacht, na toll, warum ich… das wird niemand verstehen… ich werde nie einen Freund haben… muss ich jetzt immer so tun als ob ich Spaß dabei habe?
Also hatte ich trotzdem Sex. Ich ließ es einfach über mich ergehen, wenn ich mit anderen schlief. Aber dann als ich 18 wurde fing ich an zu akzeptieren und sagte es auch meiner Mutter. Ich musste mich jemanden anvertrauen. Danach ging ich dann immer offener mit der A-sexualität um und fing an zu denken, wer das nicht akzeptiert, der darf halt gehen.
Und natürlich informierte ich mich weiter, suchte nach Gleichgesinnten, schaute im Netz Reportagen.“
„Im Vorgespräch hast du erzählt, dass du seit einigen Jahren einen Freund hast, wie habt ihr euch kennengelernt?“
„Mein Freund ist der Ex-Freund meiner ehemaligen besten Freundin. Sie feierte ihren 18 Geburtstag. Zu dem Zeitpunkt waren sie noch zusammen. Wir sahen uns dort zum ersten Mal. Hätte ich da schon was gesagt, wäre er mit mir abgehauen, sagte er mir mal. Der Kontakt wurde dann durch gemeinsame Freunde mehr.“
„Wie lange dauerte es dann, bis ihr zusammen gekommen seid und wusste er bereits vorher, dass du A-sexuell bist?“
„Als wir uns das erste Mal alleine getroffen haben, wusste er es noch nicht. Erst als es enger wurde. Nach ungefähr 2 Wochen habe ich ihm gesagt dass ich A-sexuell bin. Für ihn war es in dem Moment nicht verständlich und er haderte sehr, was eine Beziehung mit mir anging .Er wusste nicht recht, ob er nicht doch lieber Single sein will, oder sich drauf einlassen sollte.
Wir versuchten es dann trotzdem aber er beendete es schnell, weil er ein Freigeist war und Sex nun mal liebte. Wir trafen uns trotzdem jeden Tag. Nach drei Monaten meinte er dann, dass es ihm egal ist, dass ich A-sexuell bin. Er hätte sich darüber informiert, sagte er und dass sein Herz einfach lauter sei, als sein Bedürfnis nach Sex.
Nach dem „Outing“ dauerte es dann so ca. vier Monate bis wir fest zusammen waren und auch heute noch sind.“
“ Wie kann ich mir eure Beziehung vorstellen?“
„Ich würde behaupten, dass unsere Beziehung auf andere Weise intensiver ist, da wir eben durch den fehlenden Sex mehr auf andere Sachen achten. Zuneigung, körperliche Sinne, man geniest alles viel mehr und weiß, dass es nicht stumpf auf Sex hinaus läuft.“
„Macht dein Freund das fehlen von Sex ab und zu noch zum Thema, oder hast du ihm zuliebe ab und zu doch Sex?“
„Es ist hin und wieder noch Thema, wenn er sich dann auf die Faust beißt und fragt: „wieso bist ausgerechnet du asexuell“? Das finde ich eigentlich richtig süß, aber wenn ich dann sage, dass ich da ja nichts dafür kann, dann geht er meist etwas länger ins Bad und hilft sich quasi selber. Ich hab ihm mal erotische Bilder gemacht, damit er was zum spielen hat.
Es kommt tatsächlich auch mal vor, dass ich Phasenweise Lust habe. Zwar wirklich sehr selten, aber dann versuchen wir es. Das Gefühl eine Abneigung gegen Sex zu haben, kommt dann aber schnell zurück, da ich das Gefühl auch nicht mag, wenn ein Penis in meiner Vagina verweilt. Allerdings ziehe ich es dann trotzdem durch. Wir haben also ca. ein Mal im Jahr Sex.“
„Darf dein Freund seine sexuellen Bedürfnisse mit anderen Frauen ausleben?“
„Ja, ich bin mittlerweile der Meinung, nur weil ich A-sexuell bin, muss er ja nicht leiden und auf Sex verzichten.“
„Wie ist da seine Sicht auf die Dinge? Hast du nicht auch Angst, er könnte sich, wenn er mit anderen Frauen Sex hat, in eine von ihnen verlieben?“
„Naja wenn er sich anderweitig verliebt, dann könnte das auch auf der Straße sein oder so. Also verbieten kann ich ihm eh nichts, aber wenn ich von mir aus sage, dass es ist in Ordnung ist, wenn er mit anderen Frauen Sex hat, dann erspare ich mir auch die Gegengedanken, ob er mit evtl. fremd geht.
Aber er sagt von sich aus, dass er gar keinen Sex mit anderen Frauen möchte, weil er sich für mich entschieden hat und damit lebt.“
„Das finde ich unheimlich stark und bemerkenswert von deinem Freund!
Wie schafft ihr zwei euch denn die Nähe, die andere Paare durch Sex erleben?“
„Wir sind auf die Tantra-Basis gegangen, um mit allen Sinnen zärtlich zu sein. Tantra ist für uns einfach eine meditative Alternative, die nicht zum Sex führen muss, um Befriedigung zu erlangen.“
„Wie genau darf ich mir das vorstellen?“
„Gegenseitige sinnliche Berührungen, mit dem Körper, Tüchern, etc. So, dass der Körper sich selbst in eine entspannte Phase begibt. Wie ein Rausch. Man sitzt sich gegenüber, tauscht den Atem aus, man begibt sich in Geborgenheit, meditativ eben. Das ist schwierig zu erklären, aber wenn man den Körper trainiert hat und diesen „Rausch“ zulässt; kann es auch da zum Orgasmus kommen, ganz ohne Sex gehabt zu haben. Dieser Orgasmus ist dann auch weit aus intensiver, als beim herkömmlichen Sex.“
„Wie oft nehmt ihr euch die Zeit dafür?“
„Da ich selbstständig bin und er Vollzeit arbeitet, haben wir leider nur einen festen Tag im Monat, an dem wir uns ganz auf uns konzentrieren. Wir versuchen es aber so oft wie möglich, auch wenn es nur kuscheln ist oder massieren etc.
Tantra ist in der Hinsicht eine schöne Alternative für A-sexuelle, es traut sich nur kaum einer, es einfach mal auszuprobieren und ein Seminar zu besuchen.“
„Was unterscheidet eure Beziehung sonst noch von einer Freundschaft? Die meisten Menschen würden eine Beziehung ohne Sex wohl eher als eine freundschaftliche Beziehung empfinden.“
„Der Zusammenhalt, die Treue und die Echtheit denke ich. Freundschaften sind so vergänglich und nicht so wahrhaftig.“
„Das hört man sonst ja eher im Bezug auf Beziehungen. Also das diese vergänglich sind und Freundschaften eben etwas für die Ewigkeit sein können.
Wie laufen denn solche Tantra Seminare ab?“
„Gerade als A-sexuelle finde ich, dass wenn man in einer Beziehung ist, diese echter ist. Frag mich nicht warum, ich hab keine Ahnung aber es fühlt sich halt nicht nur körperlich an, weil es eben nicht nur um Sex geht.
Bei Tantra-Seminaren läuft es so ab, dass da eine Gruppe von Menschen voller Frieden und Ruhe aufeinander treffen. Ohne Vorurteile weil der eine dick ist, der andere zu dünn etc. Dann wird die Alltagskleidung abgelegt und nur ein Tuch angezogen.
Der Lehrmeister gibt dann vor was gemacht wird. Als Vorbereitung und zur Entspannung wird dann im Takt (sitzend) geatmet. Im Hintergrund ertönt eine Klangschale. In der zweiten Phase geht man dann durch den Raum, um die Leute mit einer geborgenen Geste (Umarmung z.B.) zu begrüßen. Danach kommt die Entspannungsmassage, für die man das Tuch dann ablegt. Es ist einfach pure Entspannung.
Wenn du jetzt deine Augen schließt und wirklich mal ganz ganz langsam und tief einatmest, so tief wie es geht und dabei nur auf das Geräusch des Atem hörst, dann merkst du z.B, dass dein Körper sofort Gänsehaut entwickelt und du dich in Sekunden entspannst. So ähnlich wirkt es auch, wenn man das trainiert und über Stunden anhalten kann.“
„Den Aspekt des intensiveren Fühlens, weil es eben nicht nur um Sex geht, kann ich gut nachvollziehen.
Dennoch stelle ich es mir schwierig vor, mich vor Fremden zu entkleiden und massieren zu lassen. War das für dich keine Hürde?“
„Es war definitiv komisch, aber man hat auch die Wahl, muss sich also nicht zwingend ausziehen. Vor allem für Erstbesucher ist es eben keine Pflicht. Aber man fühlt sich sehr schnell sehr sicher.“
„Warum ist es denn für die Entspannung wichtig, dass man nackt ist?“
„Alltagskleidung verhüllt den Körper und bietet keinen Platz für „Freiheit“. Dort kann man Mensch sein, wie man ist. Bei Partnerübungen ist der Körperkontakt eben sehr wichtig.“
„Fandest du die Partnerübungen mit Fremden nicht erst mal unangenehm?“
„Die Begrüßungen am Anfang war mir sehr unangenehm. Ich fühlt mich sehr unwohl weil es eben neu und ungewohnt war. Aber die anderen Übungen macht man Gott sei dank mit dem eigenen Partner. Man kann auch Übungen aussetzen, wenn man es zu unangenehm findet.“
„Du sagtest du schläfst ab und zu mit deinem Freund, was empfindest du dabei? Findest du ihn denn attraktiv, oder ist es der Charakter allein, den du liebst?“
„Für mich ist er der schönste Mann, sowohl innerlich als auch äußerlich.
Und was den Sex angeht, sage ich es jetzt mal ganz plump: Das Gefühl des Orgasmus ist mega schön. Nur der Weg dahin nicht. Ich finde das Gefühl, einen Penis in der Muschi zu haben, einfach furchtbar.“
„Hast du je Angst gehabt, wegen der A-sexualität keine Beziehung führen zu können?“
„Ja, definitiv! Ich meine, es gibt zwar immer mehr Toleranz für Menschen wie mich auf der Welt, aber mein Gedanke war natürlich: Wer will mit jemandem zusammen sein und keinen Sex haben?“
„Hast du mit anderen Männern zuvor schlechte Erfahrungen gemacht?“
„Naja, ich war ja nie ich selbst, und hab so getan, als wäre Sex genauso toll für mich, wie für jeden anderen auch. Ich glaub das war die aller schlechteste Erfahrung. Es fühlte sich mental an, wie eine zugestimmte Vergewaltigung. Ich wollte nie, aber ich musste, dachte ich.
Ich hab’s ja keinem Mann vorher erzählt. Daher hatte ich ganz normal Sex. Eben aus Angst dann verlassen zu werden.“
„Ist denn nie jemanden aufgefallen, dass dir der Sex keinen Spaß macht? Und wie kam es, dass du deinem jetzigen Freund gegenüber von Anfang an so ehrlich warst?“
„Naja, ich hab es dann eben akzeptiert und wollte nicht mehr so tun, als wäre ich jemand anderes.“
„Wäre denn, wenn Sex eh kein Thema ist, auch eine Beziehung zu eine Frau denkbar?“
„Von meinen Gefühlen her bin ich bisexuell. Also sowohl in Männer als auch in Frauen kann ich mich verlieben und hätte kein Problem damit.“
„Haben du und dein Freund mal übers Heiraten geredet und wie er dann, bezüglich des fehlenden Sex, denken würde?“
„Er meint es stört ihn fast sechs Jahre nicht, warum also dann in zehn Jahren. Er ist da eher optimistisch. Wir planen auch zu heiraten“
„Was würdest du sagen, wenn du A-sexualität erklären müsstest?“
„Ich würde es so definieren: A-sexuell = weniger und gleichzeitig auch mehr als nur Sex.“
Foto von: https://www.motosha.com/blog/
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